: Fellatio auf dem Motorroller
■ Aus Orten der Flüchtigkeit in schöne Ausstellungsräume: Arbeiten aus der „dirty windows gallery“ im Kunstamt Kreuzberg
Etwa alle zwei Jahre werden die künstlerischen Auslagen der am U-Bahnhof Kurfürstendamm eingerichteten „dirty windows“ gezeigt – dann allerdings ohne schmutzige Scheiben und ohne die Öffentlichkeit der Passage. Statt dessen werden die Arbeiten vom Ort der Anonymität und der Flüchtigkeit in einen konventionellen Ausstellungskontext gebracht. 1996 war dies im Parkhaus möglich, davor in der Galerie Weißer Elefant und jetzt im Bethanien.
17 Perlen – „pearls“ wie der Titel der Ausstellungsreihe sagt – sind zu sehen. Dirk Sommer, der Initiator der „dirty windows gallery“, hat sie aus einem Pool von zirka 50 Künstlern ausgewählt.
Eine der Perlen ist die Arbeit des Malers Dirk Sommer selbst. Kleine Fotos auf Leinwänden geben private Szenen wieder, Ausschnitte aus verschiedenen Biographien, die der Künstler mit Farbe und Textanmerkungen bearbeitet hat. Auf die zwischen Humor und Tragödie angesiedelten Geschichten antwortet Walter Dahn mit Fundstücken und Bildern auf der Wand gegenüber.
Kerstin Drechsel zeigt in Koproduktion mit Markus Strieder ein absurdes Szenario: Fellatio auf dem Motorroller. Darumherum haben die beiden Künstler ein Wohnzimmer gebaut: ein Fernseher, in dem ein flackerndes Feuer den Kamin ersetzt, ein Sessel aus Lederimitat und schließlich ein auf die Wand gemalter Sonnenuntergang. Selbst die Japanlampe fehlt in dem perfekt kleinbürgerlich-kitschigen 70er-Jahre-Ambiente nicht, das alle Voraussetzungen zeigt, um sich das bißchen mehr Freiheit zu stehlen, für die Drechsels bizarre Puppenstube einsteht.
In einem abgedunkelten Raum von Klaus W. Eisenlohr leuchten zwei runde, im Durchmesser etwa zwei Meter große Objekte, die sich in den Raum wölben und zu schweben scheinen. Der Künstler hat in Schottland die Glaskuppeln von Bürgerhäusern des 19. Jahrhunderts fotografiert. Der magische Moment entsteht durch die Projektion der konkav fotografierten Kuppeln auf den konvexen Holzkörper. Menschen und Affen sind wiederum auf kleinformatigen Ölbildern von Rocco Pagel zu sehen: Die Blau- und Brauntöne verdichten sich zu Tarnmustern wie bei Panzern oder Kampfuniformen.
„Pleasure principle“ lautet das Motto der Ausstellung, und eigentlich wollte Dirk Sommer die Künstler damit als Teil der Unterhaltungsindustrie darstellen. Die Künstler haben das Thema allerdings umgedeutet und nach der eignen Lust gehandelt, was trotz ihrer Unterschiedlichkeit, auch in der Wahl der Medien, erstaunlich gut funktioniert. Cornelia Gerner
Bis 18.4., Kunstamt Kreuzberg, Mariannenpatz 2
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen