: Kunsthistorischer Spaziergang in Pale
■ Studienreise einmal anders: Als Tourist unterwegs in der ehemaligen Serbenhochburg
Pale, etwa 15 Kilometer östlich von Sarajevo im serbischen Teilstaat Bosnien-Herzegowina gelegen, ist ein wunderschöner Ort. Bewaldete Berge, klare Luft und strahlender Sonnenschein. Als Urlaubsort kann Pale, Wohnsitz des Radovan Karadžić und Hauptquartier der bosnischen Serben im Krieg von 1992 bis 1995, aber nicht empfohlen werden. Schon gar nicht für Bürger von Nato-Staaten. „Entschuldigen Sie, können Sie mir sagen, wann diese orthodoxe Kirche gebaut wurde?“ Noch nie waren langweilige Touristenfragen so gefährlich wie in diesen Tagen. „Und Sie, können Sie mir sagen, woher Sie sind?“, erwidert der etwa 45jährige Mann, der eben aus dem Gotteshaus gekommen ist.
Mit seinem schwarzen Bart, der schwarzen Kleidung und dem riesigen Holzkreuz auf der Brust sieht er aus wie ein Priester. Als er ein schüchternes „Ich bin Deutscher“ zur Antwort bekommt, faucht er los: „Und ich bin ein Serbe aus Pale. Und ansonsten bin ich Polizist. Und du hast hier, während ihr das serbische Volk mit euren Bomben umbringt, überhaupt nichts zu suchen!“ „Aber meine Frage hat doch gar nichts mit Politik zu tun“, meint nun der Spaziergänger, der in seiner Ängstlichkeit immer naiver wird. Die Augen des Klero-Polizisten funkeln. „Seit Kragujevac habt ihr hier weder etwas zu fragen noch etwas zu suchen“, zischt er. Im zentralserbischen Kragujevac hatten die deutschen Besatzer im Zweiten Weltkrieg an einem einzigen Tag 7.000 Geiseln hingerichtet. Endlich versteht der Tourist die Zeichen der Zeit, nimmt die Beine in die Hand und rennt zum Taxistand.
Dann sitzt er atemlos im Auto, das in Richtung Sarajevo tuckert, immer am tiefen Abgrund entlang. Der Taxifahrer, auch ein Serbe aus Pale, ist froh, daß er einen Kunden hat. Willig beantwortet er die Frage über die Kirche. Auf die Nato-Bombardements angesprochen, bricht es aus ihm heraus. „Das ist ein Riesenverbrechen, die Nato tötet Kinder und alte Leute und bestraft ein Volk, das niemals jemanden angegriffen oder jemandem etwas zuleide getan hat.“ „Und was ist mit den albanischen Flüchtlingen?“ „Ich bin nicht dafür, daß Unschuldige leiden. Aber wenn die Albaner einen eigenen Staat haben wollen, dann sollen sie nach Albanien gehen!“
Glücklicherweise nimmt der sympathisch aussehende, leicht ergraute Mittfünfziger den Fuß etwas vom Gas, während er sich echauffiert und gestikuliert. Als die Skyline von Sarajevo auftaucht, hat sich seine Kanonade erschöpft, und er verfällt in Melancholie. „Weißt du, wie schön es unter Tito war? Ich war Buchhalter in Sarajevo, hatte ein vernünftiges Gehalt und meinen Jahresurlaub am Meer, mit Frau und Kindern. Aber dann ist jemand von außen gekommen und hat Zwietracht zwischen unsere Völker gesät. Warum haben die Muslime 1991 ihre nationale Partei gewählt? Sie wollten kein Zusammenleben mehr. Jemand hat den Muslimen und den Kroaten Waffen gegeben, und dann kam der Krieg.“
„Könnte es sein“, fragt der immer kiebigere Tourist, „daß dieser Jemand, der hier Zwietracht unter den Völkern gesät hat, gar nicht von außen gekommen ist, sondern von innen? Jemand, der Haß sät, um Macht zu ernten?“ Die Gesichtszüge des sympathischen Taxifahrers entgleisen. „Ja, überall sind jetzt diese Mafiosi an die Macht gekommen, das stimmt. Die verschaffen uns auch kein besseres Leben, nur sich selbst. Es gibt keine Ordnung mehr.“
Und dann kommt der krönende Abschluß, auf den der deutsche Bundestag kaum vorbereitet sein dürfte: „Ich hätte nichts dagegen, wenn Deutschland die Verwaltung in Jugoslawien übernehmen würden. Wirklich! Dann gibt's Ordnung und Recht und Arbeit und Lohn.“ „Sie meinen, Jugoslawien soll unser 17. Bundesland werden?“ „Genau“, ruft der Taxifahrer aus und besiegelt die neue Losung mit einem deftigen Handschlag. Dann startet er seinen Wagen und fährt in das schöne Pale zurück ... Klaus Buchenau, Pale
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