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„Avanti Dilettanti“

■ Warum ein Personalrat und Redakteur bei Radio Bremen gefeuert werden soll: Die taz dokumentiert den Anlaß, ein Papier des in Ungnade gefallenen Harald-Gerd Brandt

Kritische Stellungnahmen aus den eigenen Reihen kommen beim Radio-Bremen-Direktorium zur Zeit nicht gut an. Diese Erfahrung mußte der zur Zeit auf der „Melodiewelle“ eingesetzte Redakteur und stellvertretende Bremer Landesvorsitzende des Deutschen Journalistenverbandes (DJV), Harald-Gerd Brandt, kurz vor Ostern machen. In einer Redaktionskonferenz teilte Hörfunkchef Hermann Vinke den JournalistInnen mit, daß Brandt fristlos entlassen werde, weil er vertrauliche Informationen in der Bremer DJV-Zeitung „Neues“ veröffentlicht habe. Nach Angaben von Brandts Anwalt Axel Adamietz hat das Direktorium, das selbst nicht Stellung nimmt, seinen Mandanten formell aber nur „bis auf weiteres“ beurlaubt. „Der Vorgang ist rechtswidrig, und die Vorwürfe sind haltlos“, so Adamietz' Kommentar. „Jede gerichtliche Auseinandersetzung würde Radio Bremen verlieren und der Sender weiteren Schaden nehmen“, gibt sich Adamietz siegesgewiß. In Sachen fristloser Kündigung hat sich der Radio-Bremen-Personalrat inzwischen voll hinter Brandt gestellt. Heute wird er entscheiden, ob er auch die Beurlaubung ablehnt. Wir dokumentieren im Anschluß den Text, der nach Auffassung des Senderdirektoriums ein Kündigungsgrund ist. Darin kommentiert Brandt die Reformvorschläge einer senderinternen Kommission. ck

„Bei Radio Bremen gibt es seit Oktober 1998 vier Strategen, die sich selbst „Team pro RB“ nennen. Es sind FS-Chefredakteur Christian Berg, FS-Herstellungsleiter Helmut Helfst, Hörfunk-Sendeleiter Joachim Kraus und Betriebsleiter Fritz Senf. Gemeinsam verfaßten sie im Oktober vergangenen Jahres ein weiteres „Zukunfts“-Papier, das inzwischen bei Rundfunkrats-Mitgliedern, Bürgerschaftsabgeordneten und unter Journalisten kursiert.

Achim Kraus, zur Erleichterung vieler Kolleginnen und Kollegen als Intendantenbewerber gescheitert, bestreitet, daß all diese Exemplare von seinem Autorenteam gestreut wurden. Aber sie sind in der RB-externen Welt. Bereits wenige Wochen, nachdem Direktorium, Rundfunkrat, Bremens Regierungs-chef Henning Scherf und die Gewerkschaften IG Medien und DJV ein „Nordwest-Radio“ in Kooperation mit dem NDR ausdrücklich begrüßt hatten, schrieben die vier Zukunftsplaner: RB 3 Melodie wird eingestellt, ebenso, und zwar umgehend, die Planungen zum sogenannten Nordwest-Radio. Und nun die Programm- und Strategie-Posse – die vier Strategen verlangen: Auf der Frequenz von RB 3 wird das Programm NDR 1 Niedersachsen ausgestrahlt, dem von Radio Bremen Beiträge aus Bremen und dem nordwestdeutschen Raum zugeliefert werden; RB-Fenster sind vorzusehen ...

Allen Ernstes: Obwohl NDR 1 mit eigener, niedersächsischer Frequenz just „Marktführer“ (Hördauer) auch im Bundesland Bremen vor der kränkelnden Hansawelle geworden ist, fordern die vier Zukunftsplaner, dem NDR obendrein zusätzlich eine Radio-Bremen-Frequenz für dessen Erfolgsprogramm NDR 1 zu schenken. Wer rechnen kann, stellt schnell fest: NDR 1 plus RB-Melodie bilden im Land Bremen eine so große Gesamthörerschaft, daß die externe niedersächsische Marktführerschaft in Bremen zementiert wäre. Wie will man da den Gebührenzahlern des kleinsten Bundeslandes überhaupt noch klarmachen, daß sie eine eigene Rundfunkanstalt brauchen und finanzieren sollen?

Anmaßend verlangen die vier am 14. Oktober 98: Dieses Konzept muß ab sofort Grundlage der Geschäftsführung Radio Bremens sein ... Schritte, welche die Ziele gefährden könnten, sind zu vermeiden.

Als Chef der Hansawelle gestaltete Christian Berg das Programm zwar recht lustig, gleichzeitig aber journalistisch belanglos und am Markt ohne Fortune. (...) Die einstige Bremer Leitwelle verkam zur Leidwelle. Gleichzeitig gab Programmleiter Berg zum ersten Mal in der Geschichte von Radio Bremen die Marktführerschaft im Lande an das auswärtige NDR 1 Radio Niedersachsen ab. (...)

Avanti Dilettanti?

Trotz seiner Flops mangelt es Berg durchaus nicht an Ehrgeiz, sich auch als neuer Fernsehchefredakteur wiederum ins Hörfunkgeschäft einzumischen. Im Papier der vier Strategen wird hintersinnig gefordert: Förderung von Bimedialität in Programm und Technik ... zum Beispiel in Sport, Nachrichten und Aktualität (...) Mit dem Ziel, beide Medien, Hörfunk und Fernsehen, zu beherrschen. Denn die vier wollen beide Programmdirek-tionen zusammenlegen. Sie schreiben: Die über dieses Konzept herbeizuführende Aufwandsoptimierung ist ganz zweifellos nur dann durchzuführen, wenn die Programmbereiche gemeinsam von lediglich einem Direktor und einem Chefredakteur geleitet werden.

Der Hörfunk – das Sparopfer!

Wenn's ums Sparen geht, denken Berg, Helfst, Kraus und Senf vor allem an den Hörfunk. Der Personalaufwand wird schrittweise reduziert. Weiter schreiben sie, im Fernsehbetrieb habe sich der Abbau von Planstellen weitgehend erschöpft. Ausdrücklich stillgelegt werden sollen das eben erst neu eingerichtete Stadt-Studio (Baumwollbörse), das Karstadt-Studio, die Hörfunk-Ü-Wagen 2 und 3 sowie der FS-Ü-Wagen. Dafür soll ein bimedialer Ü-Wagen für Fernsehen und Hörfunk wieder kommen. Als kassenwirksame Änderung empfehlen die vier Vordenker den Verzicht auf das Stimmrecht in ausgewählten ARD-Einrichtungen. Nur punktuell müsse das ARD-Stimmrecht erhalten werden, um insgesamt 19,6 Millionen Mark einzusparen. So rütteln sie zusätzlich an dem eigenständigen Status als Bremer ARD-Anstalt! (...)

Hit-Radio Antenne schickt sich zur Zeit an, in seiner Zielgruppe Bremens Nummer eins zu werden. Der Gesellschafter RSH plant für den neuen Bremer Kommerzsender den Sendestart im Sommer. Mit programmstrategischen Dilettantismus ist dieser radikal veränderten Konkurrenzlage ganz sicher nicht beizukommen. (...) Nach den verheerenden Hörerverlusten während der Vinke-Ära, könnte ein gemeinsames Nordwest-Radio von NDR und RB die letzte Chance bedeuten, von Bremen aus größere Hörerschaften zu erreichen. Für programmferne Technokraten und mäßig erfolgreiche Programmmacher scheinen solche Zukunftsprojekte allerdings nicht attraktiv zu sein. Sie entsprechen nicht den Eigeninteressen. Von selbstkritischer Fehleranalyse keine Spur. Hingegen fordern die vier leitenden Angestellen Radio Bremens jetzt unisono die leistungsorientierte Umsteuerung des Leitungshandelns. Woran haben sich die Herren Berg, Kraus, Helfst und Senf denn bei all ihrem Leitungshandeln bislang orientiert?

Von Nord nach West

Als die Intendanz und die Hörfunk-Programmdirektion die Kooperation mit dem NDR nicht realisiert bekamen, wurde hektisch eine Zusammenarbeit mit dem WDR, quasi als Ersatzfeld, betrieben, federführend von Kraus und Senf. Vier teure Digitalstudios waren bisher euphorisch geplant und gebaut worden, angeblich um O-Ton-Nachrichten aller vier Wellen jeweils formatgerecht und parallel zu verbreiten. Doch zwischendurch sprach sich wohl bis in die Führung herum, was viele im Haus längst formuliert hatten: Fünf Nachrichtenformate für vier Wellen sind zuviel. (...) In einem Gespräch mit dem Intendanten über Tarifstreitigkeiten wurden die Gewerkschaftsvertreter damit überrascht, daß der WDR die im Bau befindlichen Studios ja prima für seine neue Europawelle mitnutzen könne. In einem weiteren Gespräch hatte Intendant Klostermeier eine weitere Überraschung parat: Die halbe Belegschaft von Radio Bremen 2 könne demnächst vielleicht bei der Europawelle mitmachen. (...)

Zur Erinnerung: In früheren Kooperationspapieren wurde sogar erwogen, NDR-Nachrichten für Radio-Bremen-Programme zu übernehmen, um hierzulande Kosten zu sparen. Übrigens entstehen diesmal die neuen Hörfunkstudios unter dem Dach vom Bürotrakt. Noch vor wenigen Jahren wurden bekanntlich Büro-Schreibtische in die teuren Studio-Räume von Radio Bremen 2 gestellt. Das Zweite mußte ausziehen, weil Berg mit dem Hansawellen-Redaktionsbüro unbedingt ins Zentrum des Hauses rücken wollte. Also werden seither selbst Honorarabrechnungen und Assistentendienste in einem Raum mit Studio-Akkustik, schallisolierten Wänden, abgehängtem Fußboden, Kabeldecke und Klimaanlage erledigt. Die Regietechnik wurde damals verscherbelt. Das dicke Ende kommt jetzt: Heute fehlt RB 2 nach Auskunft von Technikern das passende Studio für größere, mitternächliche Diskussionssendungen. Harald-Gerd Brandt

Interne Reaktion auf das interne Papier

Lieber Herr Brandt,

wie ich soeben erfahren habe, haben Sie die Absicht, das in Ihre Hände gelangte Pro-RB-Team Papier zu veröffentlichen.

Als Mitautor widerspreche ich solcher Veröffentlichung ausdrücklich, und dies nicht weil ich zu dem Papier nicht stehen würde, sondern weil es die einzig strategische Linie beinhaltet, die ein Überleben eines nennenswerten Anteils von RB ermöglicht.

Die Veröffentlichung würde unsere Position in Finanzausgleichsverhandlungen nachhaltig schwächen und damit die Existenz Radio Bremens gefährden. Fritz Senf

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