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Den Premier erwarten vor allem Vorwürfe

Menschenrechtsverletzungen, Atom- und Wirtschaftsspionage: Chinas Premier Zhu besucht die USA zu einem Zeitpunkt, an dem die gegenseitigen Beziehungen einen Tiefpunkt erreicht haben  ■   Aus Washington Peter Tautfest

Wenn Chinas Premierminister Zhu Rongji heute im Rahmen seiner neuntägigen Amerikareise bei Präsident Clinton im Weißen Haus vorbeischaut, dann wird dieser Besuch mit hoher Wahrscheinlichkeit zu einem Kontrastprogramm des Staatsbesuchs von Jang Zemin im Oktober 1997 geraten. „Die amerikanisch-chinesischen Beziehungen sind wie kaum ein anderes internationales Verhältnis eine Achterbahn aus Höhen und Tiefen“, sagt David Shambaugh, Ostasienexperte an der George-Washington-Universität. Heute sind die Beziehungen denkbar schlecht.

Viel Ärger hat sich zwischen der realexistierenden und der potentiellen Supermacht am jeweiligen östlichen und westlichen Rand des Pazifik angestaut. Diesmal ist es nicht nur die immer wieder schwärende Frage des chinesischen Umgangs mit den Menschenrechten, die die amerikanisch-chinesischen Beziehungen belastet (dieses Jahr jährt sich das blutige Vorgehen gegen die Demokratiebewegung auf dem Tiananmen-Platz zum zehnten Mal). China wird heute in Amerika verdächtigt, hinter zweifelhaften Geldspenden zu stehen, die Clintons Demokratische Partei im Wahlkampf 1996 erhalten hat. Peking soll sich damit in die Präsidentenwahl eingemischt haben. Darüber hinaus soll China illegal die Funktionsweise all jener amerikanischen Kommunikationssatelliten ausgespäht haben, die es als kommerzielle Dienstleistung im Auftrag von US-Firmen in den Himmel schoß. Der ungeheuerlichste Vorwurf: China soll einen Spion in Amerikas Atomwaffenschmiede in Los Alamos eingeschleust und Amerikas Atombomben nachgebaut haben.

Zu allem Überfluß exportiert China mehr Waren in die USA, als es an amerikanischen Waren und Dienstleistungen ins Land läßt. Das Handelsbilanzdefizit betrug 1998 57 Milliarden Dollar. Zur Zeit erfüllt China weder die in das amerikanisch-chinesische Verhältnis projizierte Vorstellung einer Sicherheits- noch die einer Handelspartnerschaft. „Vom chinesischen Gesichtswinkel aus ist das Verhältnis auch nicht besser“ erklärt Richard Haass, Präsident Bushs ehemaliger Berater im Nationalen Sicherheitsrat. Die Amerikaner bauen danach Antiraketenwaffen, womit sie nicht nur den ABM-Vertrag von 1972 verletzen, sondern auch Chinas Souveränität bedrohen, sofern sie derartige Waffen auf Taiwan stationieren.

Auch die Intervention der Nato im ehemaligen Jugoslawien berührt eine empfindliche Differenz im Verständnis, das beide Mächte von Souveränität haben. Für China ist Souveränität absolut, für Amerika weicht die Souveränität in letzter Konsequenz der Frage der Menschenrechte, worin China einen Präzedenzfall für Taiwan befürchtet. Nach Richard Haass aber hat das chinesisch-amerikanische Verhältnis für das 21. Jahrhundert die Bedeutung, die das sowjetisch-amerikanische für die zweite Hälfte dieses Jahrhunderts hatte.

Bei diesem Besuch wird es in erster Linie um die Reparatur des Verhältnisses und um die Aufnahme Chinas in die Welthandelsorganisation gehen. „Die USA sollten zur Zeit lieber keine allzu großen Konzessionen von China verlangen, was den Zugang zum großen Festlandsmarkt anbelangt“, warnt Nicholas Lardy, Handels- und Wirtschaftswissenschaftler von der Yale University. China gehe es derzeit wirtschaftlich nicht gut, das Wachstum verlangsame sich, Exporte gingen zurück, ausländische Banken gewährten keine Kredite mehr, und Chinas Arbeitslosigkeit sei auf einem Rekordniveau. Und das Handelsbilanzdefizit werde dazu noch als arg vereinfachtes Argument gegen chinesische Handelsschranken angeführt. Es geht vor allem auf Amerikas Appetit auf chinesische Konsumwaren zurück und werde noch durch Kapitalexport nach China vergrößert – viele amerikanische Unternehmen exportieren in China gefertigte Waren nach Amerika.

Mit Zhu Rongji kommt in 13 Jahren zum ersten Mal wieder ein chinesischer Premier nach Amerika – noch sind beide Länder von normalen Beziehungen weit entfernt. Deren Verbesserung aber wird einer nationalen Debatte bedürfen, glaubt Richard Haass, in der die Dämonisierung Chinas zurückgewiesen werden muß. Dazu könne Zhu Rongjis viel beitragen. Er sei kein Apparatschik, könne frei reden und Fragen aus dem Stegreif beantworten. „Letztlich ist die amerikanisch-chinesische Beziehung wie die Musik von Wagner“, resümiert Haass, „sie ist besser, als sie klingt.“

Streitpunkt Souveränität: China sieht im Vorgehen der Nato gegen Jugoslawien einen Präzedenzfall für Taiwan

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