: Wirtschaftskrieg gegen Jugoslawien
■ Die Luftangriffe der Nato führen das Land wirtschaftlich ins Desaster
Eines der ersten Opfer der Bombardements der Nato in Jugoslawien war eine Fabrik in der serbischen Provinzstadt Čečak, die vor allem Haushaltsgeräte herstellt. Hunderte von Staubsaugern und Elektroherden, die für den Export nach Rußland bestimmt waren, verkohlten. Etwa 4.000 Arbeiter sind jetzt ohne Arbeit und Gehalt. In Kragujevac wurde die Autofabrik getroffen, in Priština eine Fabrik für Stoßdämpfer und eine für Plastikwaren, in Gnjilance die Garage des Transportunternehmens mit den meisten Autobussen, in Novi Sad eine Baufirma. Der Liste können jeden Tag neue Objekte hinzugefügt werden, die entweder nur teilweise oder überhaupt nicht mit dem Vorgehen des Regimes im Kosovo in Zusammenhang stehen.
Ins Visier nehmen Raketen und Kriegsflugzeuge vor allem Raffinerien und Treibstofflager. Da die Armee hohe Priorität hat und auf unterirdische, teils sogar atombombensichere Reserven zurückgreifen kann, trifft der immer gravierender werdende Benzin- und Dieselmangel Fabriken, Transportmittel und in diesem Monat vor allem die Landwirtschaft. Da die Bauern nicht säen und ihre Felder düngen können, wird das Desaster erst nach der Ernte in vollem Umfang sichtbar. Selbst wenn der Krieg morgen aufhören würde: an Korn, Speiseöl und Zucker wird es im nächsten Winter fehlen.
Eisenbahnzüge halten an, wenn es Alarm gibt – und der dauert lange. Busse haben keinen Treibstoff. Außerdem werden jeden Tag Brücken und Schienen zerstört. Der Flugverkehr ist ohnehin eingestellt. Die Wirtschaft, nach jahrelangen Sanktionen auch ohne Kriegseinwirkungen vor dem Bankrott, ist vernichtet.
Niemand hier versteht, wieso das Leid von zehneinhalb Millionen Bürger Serbiens den zwei Millionen Albanern im Land helfen soll. Wenn sie zurückkommen, wird auch ihnen ein Arbeitsplatz fehlen, denn die Zerstörungen in den Städten Kosovos sind teils noch furchtbarer als in Serbien.
Anstatt die humanitäre Katastrophe zu vermeiden, hat man sie auf schrecklichste Weise auf viele andere Gebiete und Menschen ausgedehnt. Längst kann niemand mehr ernsthaft behaupten, die Luftschläge würden die im Kosovo wütende Soldateska aufhalten, den Kosovo-Albanern Menschenrechte garantieren, dem Regime Schaden zufügen, aber das Land und seine Bürger schonen. Es scheint den Serben und Montenegrinern so, als wolle sich die größte Militärmacht der Weltgeschichte an ihnen rächen, weil sie im Kosovo so ohnmächtig ist. Wirtschaftlich gesehen handelt es sich um einen einseitig totalen Krieg. Nach und nach wird alles vernichtet, worauf eine moderne Volkswirtschaft beruht, Transportwege, Industriekapazitäten, Infrastruktur, Energieversorgung.
Zwar hat die serbische Regierung eine Stelle eingerichtet, die Angaben über die Kriegsschäden sammeln soll, aber noch niemand hat Zeit gehabt, die Verluste in Geld auszudrücken. Die Frage, wer das am Ende bezahlen soll, wird sicher für das internationale Recht interessant. Nach einem erklärten Krieg kennt man das Instrument der Zahlung von Kriegsschäden, aber hier hat niemand einen Krieg erklärt, es hat nur ein Ultimatum gegeben, das den Angriffen vorausgegangen ist.
Im Vergleich zu allen anderen osteuropäischen Staaten hatte das Jugoslawien der Tito-Zeit nicht nur eine demokratischere Gesellschaftsordnung, sondern auch einen weitaus höheren Lebensstandard. Die Politik der Regierungen der letzten Jahre und die Wirtschaftssanktionen haben das Land weit zurückgeworfen. Jetzt wird es zum Paria Europas gebombt. Wie sich das auf die Stabilität des Balkans und Europas auswirken wird, werden wir bald erleben. Andrej Ivanji, Belgrad
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