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"In Gänze war das nicht ausreichend"

■ Angelika Beer, verteidigungspolitische Sprecherin der grünen Bundestagsfraktion, zum gescheiterten Angebot Milosevic' für einen befristeten Waffenstillstand und zu neuen Auswegen aus dem Krieg. Frieden

taz: Frau Beer, die Nato hat innerhalb weniger Stunden das Angebot der jugoslawischen Führung für einen Waffenstillstand abgelehnt. Hatte der Vorschlag Milošević' keinerlei Substanz?

Angelika Beer: In Gänze war das nicht ausreichend, insbesondere, was die Frage der Rückführung der Flüchtlinge anging.

Die schnelle Antwort haben manche Beobachter als Willen der Nato interpretiert, Milošević keinen Bewegungsspielraum zu lassen.

Abgesehen von den Mindestforderungen an Milošević, nämlich dem sofortigen Rückzug aller Einheiten aus dem Kosovo und der sofortigen Beendigung der ethnischen Säuberungen, hätte die Nato vor einer generellen Ablehnung Forderungen zur sofortigen Umsetzung innerhalb von zwei Stunden stellen sollen. Erstens werden die drei US-Soldaten, die als Geiseln gehalten werden, freigelassen. Zweitens: Die sofortige Ausreisebewilligung für Rugova und für seine Familie. Drittens: Die Wiederzulassung von Radio B 92 in Belgrad, um damit zu signalisieren, daß eine unabhängige und kritische Berichterstattung wieder möglich ist. Dann hätte man die Initiative wieder in der Hand gehabt und hätte so ausloten können, ob sich in Belgrad wirklich etwas bewegt.

Nun sagen Kritiker: Die Nato hat in diesem Konflikt sowohl die politische und militärische Initiative. Wenn sie eine aus der Hand gibt, verliere sie beide.

Es geht darum, daß die Nato wieder die politische Initiative ergreifen muß. Es wäre fatal, wenn ohne politiches Konzept ein militärischer Automatismus entstehen würde, der letzlich nur bereit ist, eine militärische Kapitulation von Milošević als Voraussetzung für die Beendigung der Luftangriffe zu akzeptieren.

Was wäre eine Alternative, um aus dem Dilemma eines sich offenbar verhärtenden Nato-Kurses und der festgefahrenen Diplomatie herauszukommen?

Es gab Vorschläge aus Partei und Fraktion für einen konditionierten Waffenstillstand parallel zu den Nato-Angriffen.

Was könnten Angebote sein?

Meiner Ansicht nach gibt es zwei Bausteine, die Milošević bedingungslos erfüllen könnte. Dazu gehört, das Militär im Kosovo und die Sondereinheiten der Polizei sofort abzuziehen und in die Kasernen zurückzubeordern und zugleich die ethnischen Vertreibungen zu stoppen. Auf dieser Grundlage könnte man dann weitere Punkte verhandeln — die Rückführung der Flüchtlinge in die Dörfer, aus denen sie fliehen mußten oder vertrieben wurden.

Außenminister Joschka Fischer hat am Montag in Bonn offen gelassen, ob Nato-Truppen — wie im Rambouillet-Abkommen vorgesehen — im Kosovo stationiert werden müßten. Kommt das Ihrer Position entgegen?

In der Tat. Ich schlage vor, auf der Grundlage eines von Milošević akzeptierten Waffenstillstands dann auch über die Frage, wer die Stabilität im Kosovo sichern soll, neu nachzudenken. Vorstellbar wäre eine internationale Friedenstruppe mit einem UNO-Mandat auf der Grundlage von Kapitel VII der UN-Charta. Daran könnten sich neben der UNO auch Teilkräfte der Nato beteiligen. Die OSZE könnte zusätzlich noch einbezogen werden, ebenso Russen oder Ukrainer. Überdacht werden muß auch, wer dieses Überwachungskontingent dann führt. Es ist zumindestens fraglich, ob die USA dafür noch in Frage kämen. Notwendig ist zudem eine Initiative für eine internationale Balkankonferenz mit dem Ziel, eine politische Lösung für das Kosovo in eine dauerhafte und umfassende Stabilisierung der gesamten Region zu erreichen.

In vielen Kommentaren steht nicht mehr der Krieg, sondern das Überleben der Nato an sich im Mittelpunkt.

Der Eindruck ist nicht falsch. Diese Forderungen zeigen aber auch, daß man solche Konflikte letztlich nicht militärisch lösen wird. Interview: Severin Weiland

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