: Die Katharsis der Eugenia Gortchakova
■ In der Städtischen Galerie im Bremer Buntentorviertel sind jetzt wolkenkratzerhafte Bildgebilde, schaukelnde Töchter, Fotos und weitere Objekte von Künstlern und anderen Philosophen aus Norddeutschland zu sehen
Eugenia Gortchakova hat ihren Traum verwirklicht. Sie wollte „einmal nichts mehr brauchen – kein Radio, kein Fernsehen – und nur noch in der Kunst leben“, sagt die 1950 in Rußland geborene Wahl-Oldenburgerin und weiß: „Jetzt kann ich das.“ Die Malerin hat nämlich ein regelrecht spirituelles Verhältnis zu Büchern, zur Musik und zur bildenden Kunst: „Sie dient dazu, sich zu beruhigen und zu reinigen.“ Aus dieser Katharsis der Gortchakova kommen nicht nur unbekümmert selbstbezogene Sätze ans Licht der Welt, sondern zum Gefallen der Mitmenschen auch so beeindruckende wie rätselhafte Bildgebilde, die jetzt in der Städtischen Galerie im Bremer Buntentorviertel zu bestaunen sind.
Nur in Kunst leben geht bei Eugenia Gortchakova so: Sie bringt Bildzitate auf Leinwände, ritzt hier und da ein Wort dazu und überzieht das Ganze mit dem Fleiß des Zahlenmalers Roman Opalka mit ungezählten feinen pastellfarbenen Strichen. Wie von Stickereien überzogene Bilder entstehen so, die Eugenia Gortchakova zu kleinen Wolkenkratzern stapelt und aus denen mal leuchtende geometrische Körper herausscheinen und mal das Portrait Marilyn Monroes, Zitate aus mittelalterlicher Ikonenmalerei oder die Silhouette Michail Bulgakows hervorlugen. Die russische Avantgarde, mittelalterliche Malerei, ihr Strichelfleiß und Bildzitate verschmelzen zu einem Bildcocktail, in dem man lesen kann wie in einem Buch. Nur eins ist seltsam: In Rußland malte sie sehr farbig und flächig, doch das war da nicht schicklich, zum Teil verpönt und zum Teil auch verboten. Doch seit sie 1991 erst nach Paris und dann nach Oldenburg ging, hat sie sich – obwohl anything goes – zur Fleißarbeit selbstverpflichtet. Ist im sprichwörtlichen künstlerischen Frei-heitsdrang auch die Freiheit zur selbstgewählten Unfreiheit eingeschlossen? So muß es sein.
In der städtischen Galerie ist mal wieder Gruppenausstellung – diesmal mit fünf KünstlerInnen aus ganz Norddeutschland –, und da bleiben halt Fragen offen. Zum Beispiel, warum der gebürtige Amsterdamer und Dozent an der Ottersberger Fachhochschule, Robert van de Laar, ein halbes Dutzend Filmprojektoren mit dünnem weißen Chiffontuch überwirft und samt Glühlampen und einer Spiegelfläche ein bißchen kitschig mit der Assoziation „Limelight“ (Rampenlicht) und Künstlergarderobe jongliert. Egal. In einem anderen Objekt schwingt ein Tuch wie Rebecca Horns Schaukel drüben in der Weserburg. Ein Projektor projiziert ein Bild von van de Laars wacher Tochter darauf, ein anderer projiziert sie schlafend. Und im Hin- und Herschaukeln von Tuch und Bildern entsteht ganz einfach ein endloser Kreislauf Leben.
Wir haben es in dieser Gruppenschau also auch mit Philosophen zu tun. Sie lieben wie van de Laar Chiffontuch und schwarzes Glas, das er auf den Boden legt, damit die BesucherInnen im Spiegelbild die Raumdecke erkunden können. Sie mögen wie Sonia Jakuschewa alte Liebesbriefe, die ihr Mann ihr geschrieben hat und die sie in großkopierten Streifen zu Collagen verarbeitet. Oder sie schwärmen wie die Fotografin Cordula Schmidt für 30 Jahre altes Barytpapier. „Die Grauwerte wirken viel stärker“, sagt die Bremerin, die sich in ihren teils überaus interessanten Fotografien mit so grundsätzlichen Dingen wie Bewegung, Licht, Schärfen und Unschärfen, Zeit- und Lebensläufen beschäftigt. Zum Farbfilm greift sie übrigens nur im Winter, um das kalte blaue Licht abbilden zu können. Für sommerliches oder russisches Rot interessieren sich andere. Ursula Goldau, die zusammen mit der Jakuschewa und der Gotchakova eine Untergruppenausstellung in der Gruppenausstellung namens „Rotes Golgorjak“ bestreitet, ist eine von ihnen. Sie verwendet es in ihren expressiven, farbsatten Bildern, die bald „roter Bär“ und bald „roter Vogel“ heißen. Mit Ruhe sind sie nicht gemalt. Aber nicht jeder Künstlerphilosoph hat ein so spirituelles Verhältnis zu seiner Arbeit wie Frau Eugenia Gortchakova. ck
„Rotes Golgorjak“ (eine Mischung aus der russischen Farbe rot sowie den drei Künstlerinnen-Namen Goldau, Gortchakova und Jakuschewa) bis 29. April in der Städtischen Galerie, Buntentorsteinweg 112. Objekte von Robert van de Laar und Fotos von Cordula Schmidt bis 2. Mai dortselbst. Eröffnung beider Ausstellungen am Sonnabend, 10. April, 19 Uhr.
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