: Einfach nicht richtig hingeguckt
Die Zerstörung des Regenwaldes im Amazonasgebiet ist viel weiter fortgeschritten als bisher angenommen ■ Von Maike Rademaker
Berlin (taz) – Der Amazonasregenwald wird wesentlich schneller zerstört als bisher angenommen. „Die derzeitigen Schätzungen erfassen weniger als die Hälfte der Fläche, die jährlich verschwindet, und noch weniger in trockenen Jahren“, schreiben Wissenschaftler aus den USA und Brasilien in der aktuellen Ausgabe des britischen Fachjournals Nature.
Nach ihren Untersuchungen erfassen die üblichen Satellitenbilder Zerstörungen nicht, bei denen die Baumdecke zwar reduziert, aber nicht vollständig eliminiert wird. Für eine umfassende Dokumentation fehlten Felddaten.
Zusätzlich zu den bisher dokumentierten Flächen fallen nach Angaben von Forscher Daniel Nepstadt noch einmal bis zu 15.000 Quadratkilometer dem Holzeinschlag zum Opfer. Holzeinschlag zerstört zwischen einem und 40 Prozent der Biomasse und erhöht – wie auch jede klimatische Veränderung – die Gefahr für Brände. Allein durch die Auswirkungen des El Niño sind rund 270.000 Quadratkilometer des 1,8 Millionen Quadratkilometer großen Regenwaldgebietes feuergefährdet. Rund eine Million Quadratkilometer des Amazonaswaldes sind in den vergangenen Jahrzehnten bereits zerstört worden.
All diese Waldschäden werden zwar von den Satelliten dokumentiert, sind aber nach ein bis fünf Jahren nicht mehr sichtbar, weil die Vegetation nachwächst.
Die Wissenschaftler hatten 1.393 der rund 2.500 in dem Gebiet ansässigen Holzfirmen zu Holzerntemengen und entsprechenden Umrechnungen auf die abgeholzte Fläche befragt.
Bedeutung haben die neuen Erkenntnisse nicht nur in Hinblick auf den Verlust von Arten – das Amazonasgebiet beherbergt zehn Prozent der Pflanzen- und Tierarten weltweit –, sondern auch für die Emissionen des Treibhausgases CO2. Nach Schätzungen der Wissenschaftler könnten bis zu zehn Prozent der weltweiten Emissionen allein aus von Menschen verursachten Bränden in Brasilien stammen. Der Zerstörung Einhalt gebieten könnte ihrer Ansicht nach nur ein geringerer oder ökologisch verträglicher Holzeinschlag. „Beides wird kaum passieren, solange der expandierende Zugang zu den Wäldern durch Straßen, Stromleitungen und Wasserstraßen nicht scharf beschnitten wird“, so die Forscher. Der im Januar neu eingesetzte Umweltminister Brasiliens, José Sarney Filho, ordnete unter anderem ein Einfrieren sämtlicher Holzkonzessionen in dem Gebiet sowie schärfere Kontrollen an. Diese Maßnahmen reichen aber nach Einschätzung des World Wide Fund for Nature (WWF) bei weitem nicht aus. Um die Vorgaben des Anpassungsprogrammes, das der Internationale Währungsfonds Brasilien verordnet hat, hat das Land aber schon im vergangenen November in den vorläufigen Haushaltsplänen mit scharfen Einschnitten begonnen.
In Paris bei der Weltbank tagt zur Zeit die Arbeitsgruppe des von Deutschland mitinitiierten Pilotprogramms für Brasilien. Neue Beschlüsse sind aber auch hier nach Angaben eines Sprechers nicht zu erwarten. Langfristig steuert Brasilien damit das Schicksal anderer Länder an: In Indien, Bangladesh, Sri Lanka und Haiti sind alle Urwälder zerstört, die Philippinen und die Elfenbeinküste stehen dicht davor.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen