: Ungeklärte Geheimnisse des modernen Fußballs
■ Hertha findet zwar kein Konzept gegen Stuttgarter Raumdeckung, gewinnt aber trotzdem
„Ich hoffe, daß von dritter Seite die Fehler nachgewiesen werden“, erklärte Rainer Adrion nach der 0:2-Niederlage des VfB Stuttgart gegen Hertha BSC am Samstag vor 57.849 Zuschauern im Olympiastadion. Dabei meinte der Interimstrainer der Schwaben keineswegs die Fehler seiner Spieler, sondern die des Schiedsrichtergespanns, und bei der „dritten Seite“, handelte es sich um „die Medien“.
Wohlan, Herr Adrion: Das erste Hertha-Tor erzielte Aracic in der 57. Minute aus Abseitsposition, das zweite lupfte Neuendorf ins Netz, nachdem er sich den Ball mit der Hand vorgelegt hatte (73.). Besonders Stuttgarts Thomas Berthold echauffierte sich über die mangelnde Aufmerksamkeit von Referee Weber, profitierte jedoch selbst am meisten davon, denn der Schiedsrichter übersah auch eine Notbremse des Abwehrspielers gegen Preetz und einen gemeinen Tritt gegen den am Boden liegenden Aracic.
Rainer Adrion war ehrlich genug zuzugeben, daß Herthas Sieg trotz des merkwürdigen Zustandekommens der Treffer hochverdient war. Dabei hatte der Feldversuch Viererkette, den der VfB in der Bundesliga durchführt, zunächst hervorragend funktioniert. Die Hilflosigkeit der Berliner, die wiederholt mit dem Ball an der Mittellinie standen und nicht wußten, wohin damit, zeigte die Vorzüge dieses Spielsystems der engen Räume. Das Problem der Stuttgarter ist, daß sie die vielen Ballgewinne im Mittelfeld nicht in gefährliche Angriffe überführen können. „Praktisch ohne Angriff“ habe man gespielt, rügte VfB-Präsident Mayer-Vorfelder, gleichzeitig eine Kritik an Adrion, der den Berlin-Touristen Bobic und seinen nigerianischen Partner erst zehn Minuten vor Schluß auswechselte, woraufhin das Spiel der Stuttgarter sogleich gefährlicher wurde.
Beim neuen Tabellenvierten Hertha schien allein Wosz eine Idee zu haben, wie man der Viererkette beikommen könnte. Nominell dritter Stürmer, zog er sich immer wieder an die Außenlinie zurück, aber es dauerte viel zu lange, bis er den Ball bekam – wenn überhaupt. Sollte Hertha, was immer wahrscheinlicher wird, nächste Saison tatsächlich im Uefa-Cup oder gar in der Champions League gegen italienische, spanische und französische Teams antreten, die alle mit Raumdeckung und Pressing spielen, muß Trainer Jürgen Röber noch einige Trainingseinheiten darauf verwenden, seine Spieler in die Geheimnisse des modernen Fußballs einzuweihen und „das schnelle Verschieben“ (Röber) zu üben, das am Samstag so gar nicht klappen wollte. Auf die Hand von Andreas Neuendorf wird sich Hertha nicht immer verlassen können. Matti Lieske
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