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Christoph Daum rasselt mit der Viererkette

■ Leverkusens Fußballer offenbaren beim 2:1 gegen Frankfurt Probleme mit neuem System

Leverkusen (taz) – Spätestens seit Christoph Daum am Donnerstag an die Öffentlichkeit trat, um als Trainer von Bayer Leverkusen eine Enthüllungsrede zu halten, ist die Systemfrage endgültig unklärbar. Entweder ist jedwedes ambitionierte Spielsystem noch komplizierter, als man es gemeinhin im deutschen Gegenwartsfußball sowieso annimmt – oder aber Systeme sind nichts als Schimären. Am wenigsten zu begreifen für Fußballspieler selbst.

Die Bayer-Profis jedenfalls, verriet Daum, hatte er am zurückliegenden Spieltag ohne expliziten Begriff der neuen Spielanlage aufs Feld geschickt. „Ich wollte verhindern, daß eine Diskussion aufkommt, deshalb habe ich die Viererkette nicht als Viererkette verkauft.“ Vor lauter Pfeilen auf der Taktiktafel durchschaute niemand die Wortklauberei. Und Leverkusen gewann in Kaiserslautern 1:0. Womöglich wäre es besser gewesen, Daum hätte weiter geschwiegen. Denn nun, wo seine Spieler wissen, daß sie – jedenfalls näherungsweise – nicht mehr mit traditionellem Libero spielen, haben sie schon mehr Probleme mit der Angelegenheit. Gegen Eintracht Frankfurt wirkte sich das allein deshalb nicht entscheidend aus, weil die Gäste in der BayArena eine Stunde lang ohne Stürmer spielten.

Seine ambitionslose Aufstellung erklärte Frankfurts Trainer Reinhold Fanz später vage: Den einen Angreifer, Westerthaler, hatte er nicht „verschleißen“ wollen, dem anderen, Fjortoft, der vor Wochenfrist noch eine flammende Rede gegen Fanz gehalten hatte, traute der Trainer „Volldampf“ über 90 Minuten nicht zu. Als Fanz die beiden einwechselte, hatte innerhalb von fünf Minuten jeder eine Torchance, die zweite führte indirekt zum 2:1-Anschlußtreffer. Zuvor hatte es bei beiden Angriffen erhebliche Irritationen in der hinteren Bayer-Kette gegeben, wer für wen und warum eigentlich zuständig war. „Wir wußten nicht genau, wer da auftaucht“, sinnierte Nowotny über das „Durcheinander“. Gleichwohl ist der vom Abwehrchef mit Offensivaufgaben zum Innenverteidiger, der bei eigenen Angriffen als letzter Mann absichert, umfunktionierte Nowotny willens, das kettenrasselnde Abenteuer in geordnete Arbeit zu überführen: „Ein Experiment ist es nur, wenn sich die Spieler nicht damit identifizieren.“

Daß Nowotny und Co. ob des kurzzeitigen Wirrwarrs nicht in größere Sinnkrisen geraten mußten, verdankten sie neben der abstiegsreifen Spielschwäche der Frankfurter vor allem ihrem eigenen Mittelstürmer. Ulf Kirsten, besonders motiviert, weil es sein 250. Bundesligaspiel war, erzielte sein 135. und 136. Bundesligator. Es waren zwei typische Treffer eines Strafraumstürmers, der wie immer unbedingt und ohne Rücksicht auf sich oder seine Gegner seiner Aufgabenbeschreibung gerecht werden wollte. Kirsten ist es ziemlich egal, wie das System heißt, das hinter ihm gespielt wird, und auch, ob er selbst im Zentrum allein, mit Partner oder wie derzeit in einem nominellen Dreiersturm aufläuft – solange seine Mitspieler ihm die Bälle einfach irgendwie in den Strafraum bringen.

Die neue Variante hat aber den Vorteil, daß sie sich ans Nationalmannschaftssystem anlehnt. Dort reklamiert der ehemalige Dresdner als erfolgreichster Bundesligatorschütze der 90er Jahre „die Berechtigung“ auf einen Stammplatz. Er ahnt aber auch, daß er „vielleicht nicht so die Lobby“ hat wie der Rivale Oliver Bierhoff. Zumindest Bayers Stadionkurier machte einen Anfang in Lobbyismus: Dort wurde Bierhoff in wenig vorteilhafter Pose abgebildet, mit blauem Auge und in gefährlicher Schräglage. Katrin Weber-Klüver

Eintracht Frankfurt: Nikolov – Janßen – Pedersen, Bindewald – Zampach, Schur (75. Gebhardt), Bernd Schneider, Sobotzik (55. Fjortoft), Kutschera – Bounoua, Brinkmann (55. Westerthaler)

Zuschauer: 22.500; Tore: 1:0 Kirsten (25.), 2:0 Kirsten (29.), 2:1 Zampach (63.)

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