: Kein Verständnis für Anti-Nato-Proteste
In Appellen, Interviews und Talkshows haben nun Deutschlands Intellektuelle Stellung bezogen. Zwar drängen die meisten auf eine politische Lösung, viele sehen aber keine Alternative zum Einsatz der Nato. 140 Journalisten unterzeichnen Aufruf gegen den Krieg ■ Von Till Ottlitz
Bodentruppen in das Kosovo schicken oder die Nato-Luftangriffe stoppen? Der Kosovo-Krieg spaltet die deutsche Intellektuellenszene. Nach den Politikern haben sich am Wochenende die Schriftsteller in Talkshows und Zeitungsappellen zu Wort gemeldet. Während Daniel-Cohn Bendit in einem offenem Brief, der der taz vorliegt, den Einsatz von Bodentruppen fordert, sieht der Tübinger Germanist Walter Jens schon in den Nato-Luftschlägen „die schlimmstmögliche Wendung“.
Vergleichbare Haltungen bezeichnet Daniel Cohn-Bendit in seinem Brief als „Heuchelei“. Der Spitzenkandidat der französischen Grünen schreibt, er sei erschüttert über all jene, „die der Nato die Schuld in die Schuhe schieben für die Zuspitzung der humanitären Katastrophe“. Zugleich fordert Cohn-Bendit die Europäer auf, „nicht nachzugeben“.
Heute stelle sich ernsthaft die Frage der Entsendung von Bodentruppen. „Die politisch Verantwortlichen müssen die Öffentlichkeit auf einen Einsatz von Bodentruppen vorbereiten.“ Mit den Bodentruppen solle „eine militärisch abgesicherte Schutzzone, die unter der Ägide der Europäischen Union steht, geschaffen werden“. Cohn-Bendit fordert schließlich, den jugoslawischen Präsidenten Milošević zu verhaften. „Ich will nicht weitere 30 Jahre warten, bis dieser blutige Diktator vor dem internationalen Gerichtshof in Den Haag landet.“
Ähnlich äußern sich sieben Schriftsteller in einem öffentlichen Appell. Darin fordern unter anderem Hans Christoph Buch, Richard Wagner und Steffen Noack von den westlichen Regierungen, „der Erpressung durch das serbische Regime nicht nachzugeben“. Das Kosovo sei „in ein Schlachthaus“ verwandelt worden. Deswegen müsse die Nato ihren Einsatz fortsetzen (siehe Kasten unten).
Dagegen haben 140 Journalisten in einer gemeinsamen Erklärung ein Ende der Nato-Bomben auf Jugoslawien gefordert. Der Krieg sei ein „eklatanter Verstoß“ gegen das Völkerrecht und die Nato-Statuten. In einer in der Frankfurter Rundschau veröffentlichten Anzeige heißt es unter der Überschrift „Beendet den Krieg sofort!“, die Nato habe ihr Ziel verfehlt, die Menschen vor Mord und Vertreibung zu schützen. Die Bundesregierung solle den „Irrweg“ des Krieges verlassen, forderten die Unterzeichner – unter ihnen Alice Schwarzer, Friedrich Küppersbusch und Eckart Spoo.
Auch der ehemalige Vorsitzende des deutschen Schriftstellerverbandes, Erich Loest, hat seine zustimmende Haltung zum Nato- Luftschlag geändert. Im TV-Magazin Kulturzeit sagte Loest, Angriffe aus der Luft seien nicht das richtige Mittel, um die Kosovo-Albaner zu schützen. „Ob da nun noch ein Panzer zerstört wird oder nicht, spielt keine Rolle.“
Auch der Publizist Hans Magnus Enzensberger zeigte sich enttäuscht vom bisherigen Erfolg der Luftschläge, fordert jedoch statt Bodentruppen die Bewaffnung Kosovo-Albaner. „Die verstehen sich besser auf einen Partisanenkrieg.“ Kein Verständnis habe er für die Haltung der Friedensbewegung. Es sei paradox, „daß diese Bewegung Seite an Seite mit den Anhängern der Massenmörder herumlaufe“, sagte Enzensberger.
Auch der Vorsitzende des Zentralrats der Juden in Deutschland, Ignatz Bubis, hat kein Verständnis für die Proteste gegen die Luftangriffe. „Hier geht's um Menschenrechte“, sagte er in einem Interview mit der Tageszeitung Die Welt. Die Einwände der Intellektuellen hätten früher kommen müssen, „bevor die Bomben fielen“.
Auch die Politiker bleiben auf Nato-Kurs. Die Grünen-Minister Joschka Fischer und Trittin sprachen sich jedoch beide in Interviews dafür aus, Rußland stärker einzubinden. Fischer sagte zum Spiegel, er arbeite daran, ein Außenministertreffen der westlichen Industriestaaten und Rußlands, der sogenannten G8-Gruppe, zustande zu bringen.
Bundesumweltminister Jürgen Trittin äußerte sich kritisch zu den Nato-Luftangriffen, plädierte aber ebenfalls für Gespräche mit der russischen Regierung. Die Nato müsse neu überlegen, welche Einsätze sie durchführe. „Mir fehlt das Verständnis dafür, wenn man ein Heizkraftwerk in Belgrad oder zivile Einrichtungen in Montenegro zerstört.“ Die völkerrechtliche Begründung für den Nato-Einsatz sei „brüchig“. Es habe aber keine „reale Alternative“ gegeben. Man dürfe sich jetzt aber nicht auf eine „Eskalationsspirale“ einlassen.
Der Minister sagte, jetzt müsse eine politische Lösung gefunden werden, und zwar in Absprache mit Rußland. „Wir brauchen ein Mandat der Vereinten Nationen, um die Vertriebenen in ihre Heimat zurückzuführen.“
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