■ Zur Einkehr: Ein Abenteuer namens Pizza-Express
Es gibt ganze Branchen, die warten nur darauf, daß der gestreßte Mensch nach Hause kommt, erschöpft in die Couchgarnitur sinkt und ausruft: „Aaargl: Kohldampf!“ Wenn dann ein Telefon in der Nähe und der Geist zu schwach ist, um die Konsequenzen der nachfolgenden Affekthandlung bis zum Letzten zu durchdringen, hat man schnell einen Pizza-Bringdienst an der Strippe. Und das Verhängnis nimmt seinen Lauf.
Erster Fehler: Man ruft immer zu spät an. Denn in einem Zustand, wo man ernsthaft in Erwägung zieht, die Wohnzimmer-Yuccapalme mittels eines würzigen Öl-Essig-Dressings in einen köstlichen exotischen Salat zu verwandeln, kann die Auskunft „Spätestens in einer Stunde sind wir bei Ihnen“ nur zum Zusammenbruch des limbischen Systems mitsamt der subkortikalen Strukturen führen. Von den endokrinen Regulationssystemen ganz zu schweigen. Doch mit Blick auf den halbverwesten Inhalt des Brotkastens und wissend, daß das Stück Goudakäse schon vor Tagen damit begonnen hatte, so merkwürdig durch den Kühlschrank zu kriechen, bleiben alle Alarmglocken unerhört. Die Sache ist schon zu weit gedrungen, um noch rückgängig gemacht zu werden.
Zweiter Fehler: Man hat die Sache nicht rückgängig gemacht. Denn nun sitzt man da, lauscht den Magensäften, wie sie langsam die Magenschleimwände zersetzen und nagt an den Fußnägeln der Lebensabschnittsgefährtin, weil man sich die eigenen Fingernägel bereits als Hauptmahlzeit einverleibt hat. Als auch da nichts mehr zu holen ist, greift man zum Telefon und röchelt hinein: „Aaaargl, Kohoholdampf!!“ Der nette Herr vom „Pizza-Express“ entschuldigt sich, verspricht eine Flasche Gratis-Rotwein zur Besänftigung. Und siehe da, eine halbe Stunde später als angekündigt blickt man aus delirierten Augen auf drei gelbe Kartons. Der Inhalt: Zwei Pizzen mit Spinat und Champig-nons sowie eine Portion Knoblauchbrot.
Dritter Fehler: Man ißt, was man geliefert bekommt. Obwohl der Anblick von verbruzzelten öldurchtränkten Baguettestückchen schon hätte Zweifel aufkommen lassen müssen. Schmeckten aber immerhin besser als die Fußnägel der Lebensabschnittsgefährtin. Unter einer blickdichten ledrigen Käsebeschichtung ringen Dosenchampignons und Mangold (der sich als Spinat ausgibt), vergeblich darum, nicht mit der klumpigen, kräuterdurchsetzten, säuerlichen Tomatenmarkpaste in Berührung zu kommen, die diese pizzaähnliche Installation zusammenhält. Vermutlich war der Koch des „Pizza-Express“ bis zu seiner Entlassung als Konditor beschäftigt. Denn anstelle des üblichen Hefeteiges verleiht hier ein in der Mitte matschiger und an den Rändern krümeliger Teig, der eine passable Unterlage für einen Obstkuchen abgegeben hätte, dem Ganzen eine eigene Note, auf die man gern verzichtet hätte.
Vierter Fehler: Nur die Hälfte dieser nicht zum Verzehr geeigneten Speise landet dort, wo sie von Anfang an hingehört hätte: im Mülleimer. So aber findet ein Teil den Weg in den Magen, wo er noch Tage später Aufstoßen verursacht.
Kürzlich kam ein Gutschein vom „Pizza-Express“ für die versprochene Flasche Rotwein. Unser Blick fiel auf die beigelegte Karte, Rubrik Rotwein. „Lambrusco, Perlwein, rot, süß“ steht dort. Wir haben sofort den Anwalt eingeschaltet. zott
Pizza-Express, Tel.: 41 17 08
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