Die Meuterei auf der Bounty

■ Wie der Autor vom gewöhnlichen Erdenbürger zum Netizen wurde und beim weltweiten Flirten fündig wurde / Eine eher emotionale Einführung in die Welt der neuen Netze in schätzungsweise zehn Folgen / Heute: der Auftakt, der ein Ende war

Das passiert jedem mal. Die Freundin macht Schluß. Oder ich mache mit der Freundin Schluß. Oder Sie, werte Leserin, verehrtester Leser, machen Schluß. Mit wem auch immer. Denn immer macht irgendwer mit irgendwem Schluß. Es soll Statistiker geben, die ausgerechnet haben, daß im Schnitt alle drei Sekunden irgendwer mit irgendwem Schluß macht. Nach diesen Berechnungen ist das Schlußmachen (das Sich-auseinander-gelebt-haben, das „Duuuu, laß uns doch auf die sichere Bank der Freundschaft setzen“-sagen oder das Sich-nach-dreijähriger-Streiterei-in-totaler-Feindschaft-trennen) sogar häufiger der Fall, als daß jemand voller Entzücken und Stolz über eine neue aufregende Eroberung laut „Got her!“ oder „Got him!“ ruft. Schätzungsweise im Jahr 2117 gibt es demnach überhaupt keine Beziehungen (Ehen, Lebensabschnittsbegleitungen) mehr. Aber das ist noch eine Weile hin.

An jenem Tag im 20. Jahrhundert jedenfalls war auch ich ein Fall für die Statistik, denn es war mal wieder aus, Ende, vorbei. Doch nach einer gewissen Trauerzeit hatte ich diesmal überraschend schnell auch die Lustlosigkeit überwunden, demnächst wieder ganz von vorne mit dem Lebensgeschichte-erzählen und Marotten-erforschen anfangen zu müssen. Rein statistisch gesehen erzählt man seine Lebensgeschichte im Lauf eines Liebeslebens inzwischen übrigens 28 mal in Langform. In Kalifornien soll es schon Schulen geben, in denen man das wiederholungsfreie Erzählen von Lebensgeschichten erlernen kann.

Auch ohne den Besuch einer dieser Schulen hatte ich mir eine neue und fesselnde Version der Geschichte meines durchschnittlichen Lebens zurechtgelegt und war zu allem fest entschlossen. Mein Herz stand nämlich offen wie ein Scheunentor. Denn ich hatte ganz gewiß nicht vor, den Rest meiner Abende und Nächte allein vor dem Computer zu verbringen und mein Geld für hohe Telefonrechnungen statt für Einladungen in dekadent teure Restaurants, unerschwingliche Perlenketten oder die sonntägliche Flasche La Veuve auszugeben. Doch wo suchen? In der Disco? Im Aktzeichnen-Kurs? Im Supermarkt? Nein. Diesmal machte ich aus der Not eine Tugend und entdeckte eine Kontaktbörse namens Internet.

Ich weiß nicht mehr, wann ich damit angefangen habe, immer mehr Abende und Nächte vor dem Computer zu verbringen und immer höhere Telefonrechnungen zu bezahlen. Das Tor zur Welt der neuen Netze – ein Modem also – hatte ich mir schon vor Jahren gekauft, doch von einer Sucht konnte damals noch nicht die Rede sein. Mein erstes Modem war so langsam, daß selbst die Übertragung einer E-Mail Stunden dauerte. Doch inzwischen habe ich drei Modems verschlissen und kann mit einigem Recht sagen: Ich habe fast alles hinter mir, was man an Abenden und in Nächten vor dem Computer hinter sich bringen kann.

Die neuen Netze, die so heißen, weil es außer dem Internet noch Diskussionsforen (Newsgroups) und den elektronischen Postweg gibt, sind inzwischen genauso wenig aus der Welt wegzudenken wie die Weser aus Bremen. Noch vor ein paar Jahren war die Suche nach Informationen im Internet ziemlich mühselig. Doch heute ist der komplette Untersuchungsbericht – sagen wir – über den Mord an John F. Kennedy nur wenige Mausclicks entfernt. Und wenn man – wie ich – manche Filme nicht oft genug sehen kann und nach dem 23sten Gucken von „Meuterei auf der Bounty“ endlich wissen will, ob die Geschichte von Fletcher Christian und seinen Leuten wahr ist, wird man im Internet fündig. Auf der Seite http://library.puc.edu/pitcairn ist alles Wissenswerte über das weitere Schicksal der Meuterer zu entdecken. Und bei solchen Erfolgserlebnissen fängt man bald an, nach den krudesten Themen und Begriffen zu suchen. Und je häufiger diese Erfolgserlebnisse werden, desto mehr wächst die Neugier auf alles, was sich mit Computer, Modem, Maus und Co. anstellen läßt. Die Traumfrau finden zum Beispiel. Christoph Köster

Lesen Sie in der nächsten Folge, wie alles wirklich anfing und der Autor sein Geschlecht wechselte.