: „Wenn der Öltank brennt, gibt es nichts zu löschen“
■ Die Nato erklärt, bei den Angriffen seien die Schäden für Zivilisten gering. Doch die Bombardierung der Ölraffinerien gefährdet Menschen und Umwelt wie ein Chemie-Unfall
Noch vor zehn Tagen waren Ziele wie Ölraffinerien für die Nato offiziell tabu. Der britische Luftwaffengeneral David Wilby bestritt am 4. März amtliche jugoslawische Meldungen, nach denen auch zivile Ziele wie eine Ölraffinerie und ein Fernheizkraftwerk bombardiert worden seien.
Inzwischen ist das anders. Die jugoslawische Ölindustrie gehört für die Nato-Strategen zur „kritischen Militärware“, wieMike Phillips, der Sprecher der militärischen Nato-Zentrale „Shape“ im belgischen Mons gegenüber der taz erklärte. „Unsere Angriffe richten deutlichen Schaden an und schränken die Bewegungsfähigkeit der jugoslawischen Armee weiter ein.“ Detaillierte Informationen über die Angriffe auf die Raffinerien gebe die Nato nicht heraus, doch „wir unternehmen alles, um den Schaden für die Zivilbevölkerung gering zu halten“. Das aber ist bei den Angriffen auf Industrieanlagen wie die Ölraffinerien kaum vorstellbar. „Wenn Tanks voller Öl und Benzin verbrennen, entstehen giftige und krebserregende Stoffe wie Kohlenmonoxid und Ruß in großen Mengen“, sagt der Kieler Toxikologe Otmar Wassermann. „Um abzuschätzen, wie gefährlich es für die Menschen ist, müßte man wissen, welche Chemikalien außerdem in diesen Firmen lagern.“ Für Greenpeace gleicht die Situation einem „größeren Chemie- oder Ölunfall“: Das Öl verbrenne, laufe in Flüsse oder versickere im Boden.
Nach einem Bericht der Grünen Partei in Belgrad wird die indirekte Gefährdung der Bevölkerung durch die Bombardierungen bisher unterschätzt. So sei gleich am ersten Tag der Angriffe die Gemeinde Grocka getroffen worden, auf deren Grund sich das Atomkraftwerk von Vinca befinde. Dort lagern nach Informationen der Grünen große Mengen von Atommüll. In der Nähe der Ölraffinerie Pancevo, die mehrmals Ziel von Angriffen war und in der Nacht zum Dienstag von Nato-Kampfbombern zerstört wurde, befinde sich eine chemische Fabrik, die Kunstdünger herstelle. Auch die Gemeinde Baric 10 Kilometer vor Belgrad sei bereits am Beginn des Krieges getroffen worden. Dort stehe ein großer Industriekomplex, der Produkte mit Chlorverbindungen herstelle – „unter Einsatz von Bhopal-Technologie“, heißt es in dem Report. Im indischen Bhopal waren 1984 etwa 3.800 Menschen durch austretendes Gas getötet worden. „Bereits am zweiten Tag wurde im Belgrader Vorort Sremcica eine Fabrik für Chemieproduktion und ein Tank für Raketentreibstoff getroffen, was eine leichte Vergiftung der Umgebung bewirkte“, schreiben die Belgrader Grünen in dem Bericht, der über E-Mail verbreitet wurde. Sie weisen darauf hin, daß als langfristiger Effekt durch die Angriffe möglicherweise verseuchtes Grundwasser aus Serbien sich in der gesamten Region bis zum Schwarzen Meer verbreiten könne.
Insgesamt konnte der staatliche jugoslawische Ölkonzern bis zu den Angriffen in drei größeren Raffinerien jährlich etwa 10 Millionen Tonnen Rohöl verarbeiten – das entspricht etwa einem Zehntel der deutschen Kapazität. Nach den Angaben im Jahrbuch der Europäischen Erdölindustrie ANEP betrug die Kapazität der Raffinerien in Novi Sad und in Skopje jeweils 2,5 Millionen Tonnen im Jahr. Während die Anlage in Novi Sad in den letzten Tagen nach Angaben der Nato wiederholt angegriffen wurde, gibt es keine solchen Meldungen über die Anlage in Skopje. Die größte jugoslawische Raffinerie in Pancevo hatte eine Kapazität von 5,5 Millionen Tonnen.
„Wenn so ein Tank mit mehreren tausend Tonnen Benzin erst einmal brennt, gibt es keine Chance, das mit herkömmlichen Mitteln zu bekämpfen“, sagt Hans Wenck von der Deutschen Shell, die in Hamburg-Harburg eine ähnlich große Raffinerie wie die von Pancevo betreibt. „Wenn der Tank lichterloh brennt, ist es viel zu heiß, um zum Löschen nahe genug an ihn heranzukommen“, die Feuerwehr könne dann das Feuer nur noch brennen lassen. In den siebziger Jahren habe es eine solche Brandkatastrophe in der Raffinerie in Hamburg gegeben. „Seitdem haben wir unser Feuerlöschsystem komplett umgestellt“, sagt Wenck. Inzwischen habe Shell Spezialfahrzeuge, um auch solche Brände zu bekämpfen. Doch ob die Raffinierien in Jugoslawien damit ausgerüstet sind, „das bezweifle ich“, so Wenck. Bernhard Pötter
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