Ein PR-Gag sieht anders aus

■ Krieg hin, Schlingensief her, Bürokratie geht noch immer vor Pragmatismus: Die Berliner Ausländerbehörde untersagt der Volksbühne die Aufnahme von Kosovo-Flüchtlingen

„Lüge gegen Lüge“, hatte es zuletzt etwas defensiv auf den 7x-Internetseiten von Christoph Schlingensief geheißen, nachdem er am 10. April zusammen mit seinen Volksbühnen-Kollegen Irm Hermann und Bernhard Schütz nach Makedonien und an die Grenze zum Kosovo gefahren waren. Die Künstler besuchten Lager; Schlingensief ließ sich per Telefon in seine aktuelle Inszenierung der „Berliner Republik“ einblenden, die sich inzwischen in ein Diskussionsforum verwandelt hatte.

Das alles hatte etwas Absurdes: wie das Theaterstück „Berliner Republik“, eine am Ende völlig desolate Polit-Komödien-Farce, die stets Aktuelles integrieren wollte und vor dem Krieg dann kapitulierte. Einige Schauspieler hatten schon vor zwei Wochen ihre Mitarbeit aufgekündigt; die afrikanischen Schauspieler im Stück wurden zur Staffage, da sich der Länderschwerpunkt gen Balkan verschoben hatte, das Publikum wurde irgendwann in Männer und Frauen geteilt, um einen Eindruck von Selektionen zu kriegen; während der Aufführung liefen via Großbildleinwand neueste Kriegsnachrichten.

Unter Kollegen galt Schlingensiefs Makedonienreise als obszöner Selbsterfahrungstourismus mit Existenzerlebnisgarantie. Am Mittwoch abend nun trat er vor die Presse. Ein aufgedrehter Kollege von der Deutschen Welle begrüßte eine der Frauen, die mit in Makedonien gewesen waren, mit der Frage: „Warst du auch dabei in Dingsda? War bestimmt grauenvoll, oder?“

Wer auf pathetische Erlebnisberichte gehofft hatte, wurde enttäuscht. Das Ziel der Aktion war pragmatisch. Die Volksbühne hatte angeboten, 50 bis 200 Flüchtlinge in ihren Räumen für eine gewisse Zeit zu beherbergen. Schlingensief und seine Mitstreiter waren an die Kosovo-Grenze gereist, um herauszufinden, wie schnell eine solche Hilfsaktion organisiert werden könnte. Während sie vor Ort auf Entgegenkommen stießen, ein Charterflug für 50 Flüchtlinge schon zugesagt war, scheiterte die Aktion am Veto der Berliner Ausländerbehörde. Für die Aufnahme von Flüchtlingen sei Vater Staat zuständig.

Obgleich diverse, von der Volksbühne angesprochene Hilfsorganisationen erklärten, sie könnten noch Flüchtlinge versorgen, dürfe das Kontingent von 10.000 nicht überschritten werden. Selbst wenn die Flüchtlinge dem Kontingent zugerechnet werden würden, würde die Klärung der dazu verlangten Formalitäten Monate dauern. Selbst wenn Institutionen wie die Volksbühne für den Lebensunterhalt der Flüchtlinge aufkommen würden, dürften sie keine aufnehmen.

„Die Nato riskiert einen in den Folgen nicht kalkulierbaren Krieg,

um den Verbrechen nicht tatenlos zusehen zu müssen, aber den Opfern dieser Verbrechen darf durch private Initiativen in Deutschland nicht geholfen werden“, erklärte Volksbühnen-Intendant Castorf in einem offenen Brief an den Außenminister und forderte, unbürokratische Lösungen zu beschließen. Schlingensief will mit Otty Schily (SPD) demnächst über eine schnelle Aufnahme von Flüchtlingen in das Berliner Theater sprechen. Ein PR-Gag sieht anders aus.

Detlef Kuhlbrodt