: Große Distanzen
■ Wenigstens hören sie einander zu: Die Grünen debattierten am Donnerstag Abend erstmals öffentlich über die NATO-Intervention im Kosovo
Am Ende gab es doch noch Tränen, bleiche Gesichter, persönlich angegriffen, persönlich verletzt. „Kriegstreiber“ hatte einer in den Saal geschleudert. „Ihr sein nicht in der Lage, den Faschismus zu erkennen“, kam die Replik. Als die Bremer Grünen nach drei Wochen die NATO-Intervention in Jugoslawien doch noch öffentlich diskutiert hatten, war die Partei so schlau wie zuvor. Befürworter und Gegner sind nach wie vor weit voneinander entfernt. Aber eines hatten sie immerhin geschafft: einander zugehört. Aufmerksam. Fast bis zum Schluß. Und das war angesichts der aufgeladenen Stimmung fast nicht zu erwarten.
Das Kunststück gelang, weil es drei Frauen waren, die die Diskussion im propevollen Saal des Senator-Bölken-Hof in Horn einleiteten. Drei Frauen, weit entfernt von Kriegstreiberei einerseits oder blinder Leugnung der Verhältnisse auf dem Balkan andererseits. Die Bundestagsabgeordnete Marieluise Beck, Andrea Frohmader, Aktivistin von der „Brücke der Hoffnung“, Katja Barloschky, Initiatorin eines Aufrufes gegen die Bombardements – sie gaben die Tonart der Diskussion vor. Alle drei sichtlich gequält von der tragischen Lage, von zwei schlechten Alternativen die weniger schlechte aussuchen zu müssen.
Die Argumente so oder so waren bekannt. Hier Beck und Frohmader, voll bitterer Erfahrungen des Bosnien-Krieges, voller Geschichten über Mord, Vertreibung, Vergewaltigungslager, voller Frust über gescheiterte Verhandlungen mit dem Belgrader Regime. Beck: „Der Pazifismus ist keine Antwort auf Hitler.“ Dort Katja Barloschky, hin- und hergerissen zwischen der Frage, ob Milosevic am Ende nicht doch nur mit Gewalt zu stoppen ist und der bösen Ahnung, daß längst nicht alle zivilen Möglichkeiten zur Beendigung von Mord und Vertreibung ausgeschöpft worden sind. Das fehlende UN-Mandat habe unübersehbare Folgen, die „Militärlogik“ führe direkt zur Entsendung von Bodentruppen: „Wer will das alles verantworten? Es wird einen bitteren Kompromiß mit den Verbrechern in Belgrad geben. Aber der ist besser als alles andere.“
Bekannte Argumente, die von der Seite der Interventionsgegner immer wieder mit pazifistischen Grundbekenntnissen, zahlreichen „Da hätte man präventiv...“-Argumenten und wilden Thesen über die Motivation der NATO „Die hat den Krieg doch über Jahre vorbereitet und gewollt“ ergänzt wurden. Was von den Befürwortern wie dem Grünen Bürgerschaftsabgeordneten Hermann Kuhn regelmäßig mit Gegenfragen gekontert wurde: „Wie hättest Du am 24. März entschieden?“
Bekannte Argumente, auch zum ominösen „Annex B“ im Vertrag von Rambouillet. In dem sollte die Bewegungsfreiheit der NATO-Truppen, die den möglichen Friedensschluß überwachen sollten, geregelt werden: Bewegungsfreiheit in ganz Jugoslawien. Die einen zitierten die taz, nach der das ein für Belgrad unannehmbares Besatzungsstatut sei. Die anderen zitierten die taz, in diesem Passus sei genau das festgeschrieben worden, was schon im Dayton-Friedensabkommen über Bosnien beschlossen worden sei.
Einigkeit gab es nur an einem Punkt, bei der Zustimmung zu Joschka Fischers jüngster Friedensinitiative. Und sonst? Sonst sind die Grünen gespalten. Sie haben einander zugehört. Wenigstens das. Aber mehr auch nicht.
Jochen Grabler, von 92-97 bei der taz, jetzt freier Journalist, vor allem für Radio Bremen
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen