■ Vorlauf: Liebevoller Abgesang auf eine Stadt
„Der Fotograf Istanbuls“ – Ein Porträt des türkischen Fotografen Ara Güler. 0 Uhr, N3
„Anhand meiner Bilder kann man die Geschichte Istanbuls und Anatoliens in den letzten vier Jahrzehnten nachvollziehen.“ Sagt Ara Güler, und der hat wenig Grund zur Bescheidenheit. Denn der heute 70jährige Fotograf, armenischer Abstammung übrigens, hat wie kein anderer die radikale Umwälzung des Landes in malerischen Momentaufnahmen festgehalten, als Chronist des türkischen Alltags der Arbeiter und Tagelöhner, der Bauern und der Boheme. Und immer wieder: die Stadt Istanbul, deren verlorener Glanz in Ara Gülers Bildern nachschimmert.
Die Filmemacher Erdal Buldun und Özdil Savașci haben Ara Güler ihren Dokumentarfilm gewidmet. In langsamen, poetischen Einstellungen, durch Foto- Stills und Filmaufnahmen aus den siebziger Jahren ergänzt, folgen sie dem rastlosen Fotografen durch die Gassen seiner Stadt, ehrfürchtig, aber nicht bemüht ehrerbietig.
Sie selbst verzichten auf jeden Kommentar. Die Bilder sprechen für sich. Wie auch der Fotograf, der verschmitzt aus seiner Jugend plaudert oder von seinen besten Berufsjahren im Dienst der Agentur Magnum, als seine Aufnahmen vom Stern bis zu Life Verbreitung fanden. Heute gehört sein Lebenswerk, in opulente Bildbände gebunden, zum Standardsouvenir eines jeden Istanbul-Besuchs.
Auf der Suche nach dem verlorenen Istanbul aus Ara Gülers Bildern treffen die Autoren auf die letzten Vertreter aussterbender Berufsgattungen, auf Korbflechter und Bosporusfischer sowie einen Taxichauffeur, der in seinem lange vebeulten Cadillac seine Runden dreht – so gerät das Porträt des Fotografen zugleich zum liebevollen Abgesang auf eine Stadt.
Mit melancholischer Absolutheit erklärt auch Ara Güler: „Heute gibt es in Istanbul nichts mehr zu fotografieren, höchstens Details.“ Das ist dann aber wohl doch ein wenig übertrieben. Daniel Bax
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