: Bekommt die Nato neue Kleider?
■ Der deutsche Friedensplan ist richtig. Denn er bricht mit der Doktrin alles oder nichts und setzt auf geben und nehmen. Aber will die Nato das?
Wenn die Nato in gut einer Woche ihr fünfzigjähriges Jubiläum begehen wird, fällt ihre Bilanz unerwartet trübe aus. Was sie in dem vergangenen halben Jahrhundert an Renommee aufgebaut hatte, hat sie in den letzten fünf Wochen aufs Spiel gesetzt. Ihr erster militärischer Einsatz, der Angriff auf Jugoslawien, hat sein Ziel nicht erreicht – im Gegenteil. Die humanitäre Katastrophe im Kosovo wurde nicht verhindert, sondern ins Unermeßliche gesteigert. Milosevics Rückhalt in der serbischen Gesellschaft wurde nicht geschwächt, sondern gestärkt.
Gleichzeitig hat sich das Bündnis in eine Ecke manövriert, in der ihr nur zwei gleichermaßen unerfreuliche Auswege bleiben: der Rückzug oder die Eskalation. Das ist wahrlich kein Gütesiegel für die neue Strategie, die in Washington abzusegnen die Nato sich eigentlich vorgenommen hatte. Ein Schreckensbild ist entstanden. Viele Allianzmitglieder werden zögern, einer Konzeption zu folgen, die schon bei ihrem Probelauf mehr Probleme geschaffen als gelöst hat.
Um ein neues Konzept handelt es sich in der Tat. Was über Jugoslawien abläuft, ist kein Schuß aus der Hüfte, sondern wohl bedacht. Diese Strategie wird seit dem Dezember 1998 auch gegenüber dem Irak praktiziert, wo jeden zweiten Tag amerikanische und britische Bomben einschlagen.
Die Strategie ist die gleiche, nur das Tempo ist verschieden: Zeitlupe im Irak, Zeitraffer in Serbien. Die USA werden noch einmal 300 Flugzeuge schicken; 8.000 kampfbereite Soldaten werden nach Albanien verlegt. Einem unbotmäßigen Herrscher soll die militärische Macht genommen werden, damit er auf diese Weise unschädlich wird. Natos neue Strategie vertraut nicht mehr auf Verhandlungen und Konferenzen, sondern auf das Diktat, das sich mit Gewalt durchsetzt. So wurde auch schon auf der Konferenz von Rambouillet verfahren. Das Autonomieabkommen, der Kern der Sache, war kaum noch strittig. Gewehrt hat sich Serbien gegen die ihm auferlegte Besetzung durch die Nato. Sie soll dem Land jetzt mit Gewalt abgetrotzt werden.
Diese neue Strategie – sieht man genauer hin – ist eigentlich steinalt. Sie ist Machtpolitik reinsten europäischen Kabinettstils. Sie kümmert sich nicht darum, daß der Konflikt über das Kosovo eine gesellschaftliche Dimension hat: die Unvereinbarkeit der serbischen und der albanischen Besitzansprüche. Sie verdrängt, daß seit drei Jahren in der Provinz ein Bürgerkrieg stattfindet, der von beiden Seiten unterhalten wird.
Das Bündnis wollte sich nie zur Luftwaffe der UÇK machen lassen und wirkt doch zu deren Gunsten. Der Westen wollte immer vermeiden, daß das Kosovo aus dem jugoslawischen Staatsverband ausschert und hat doch durch seinen Eingriff dazu beigetragen, daß diese Entwicklung kaum noch vermieden werden kann.
Gerade die Führungsmacht USA hätte all dies wissen müssen. Ihr Eingriff in Vietnam hatte einen Bürgerkrieg in einen internationalen Krieg verwandelt. Rußlands Intervention in Afghanistan hat aus diesem Land die politische Wüste werden lassen, in der nur noch der Radikalismus gedeiht. Wann endlich wird die Politik anfangen, aus ihren Erfahrungen zu lernen? Jedenfalls sollten sich die Gesellschaften weigern, immer wieder die Kosten solcher Lernpathologie zu zahlen.
Wenn man Bürgerkriege von außen nicht gewinnen kann, so kann man sehr viel dazu beitragen, daß sie nicht erst entstehen. Der Stabilitätspakt, den Außenminister Fischer für den südlichen Balkan vorgeschlagen hat, wäre schon vor zehn oder zwanzig Jahren fällig gewesen. Er hätte dann die wirtschaftliche Basis für das Zusammenleben der Ethnien verbessert und viele Gewaltanlässe beseitigt. Wer rechtzeitig politisch und wirtschaftlich interveniert, vermeidet die Alternative, später entweder hilflos zusehen oder blind draufschlagen zu müssen. Vorbeugung ist die Strategie für eine moderne erfolgreiche Außenpolitik.
Warum wird sie nicht betrieben? Der Sicherheitsrat hatte 1992 den UN-Generalsekretär beauftragt, sich Gedanken über die Prävention zu machen; bedacht haben die Politiker sie nicht. Sie geben zwar leicht Unsummen Geld für die Zerstörung von Infrastrukturen aus, drehen aber jeden Pfennig zweimal um, bevor sie ihn in den Aufbau solcher Strukturen stecken. Man vergleiche nur die Aufwendungen für den Krieg in Jugoslawien mit denen für den wirtschaftlichen Aufbau in Bosnien- Herzegowina.
Die Diskrepanz läßt sich nicht allein mit dem Kurzzeithorizont erklären, in dem sich die Politiker notgedrungen bewegen. Sie unterbewerten noch immer, daß der Adressat von Außenpolitik nicht eine Regierung, nicht „Milosevic“ ist, sondern eine Gesellschaft. Wenn sie nicht zustimmt, gibt es keinen Erfolg.
Auch das kann man in Bosnien- Herzegowina sehen, wo die UN- Schutztruppe auf unabsehbare Zeit verbleiben müssen wird. Glaubt jemand im Ernst, die Serben würden eine Nato-Friedenstruppe akzeptieren, nachdem die Allianz ihnen so unermeßlichen Schaden zugefügt hat? Hat jemand darüber nachgedacht, wie die serbische Gesellschaft dazu veranlaßt werden kann, die Bomben zu vergessen und sich wieder im Westen zu Hause zu fühlen, dem sie während des Kalten Krieges die Stange gehalten hat?
Diese Fragen verbrämen nicht die Untaten der serbischen Armee im Kosovo; sie verdeutlichen nur, wie wenig es nützt, den Teufel mit Beelzebub auszutreiben. Ein unabhängiges Kosovo, das nur auf den Bajonetten der Nato steht, ist eine Utopie, und nicht einmal eine schöne.
Deswegen sollte der weiteren Zerstörung Serbiens schleunigst Einhalt geboten werden. Die Nato hat ein Hauptziel erreicht: Ihre Glaubwürdigkeit steht nicht mehr in Frage. Wer nicht geglaubt hatte, daß das westliche Bündnis seine Drohung wahr machen würde – und ich bekenne mich gern zu diesem Unglauben – wurde belehrt. Alle einschlägigen Staaten der Welt haben die Botschaft gehört und werden sich darauf einrichten.
Angesichts dessen kann es sich die Nato leisten, den Serben entgegenzukommen. Das klingt nur vordergründig abstrus, macht aber strategisch Sinn. Wenn das westliche Angebot die Erfüllung der fünf Forderungen mit Vergünstigungen ausstattet, die der serbischen Gesellschaft zugute kommen, gerät der Diktator Milosevic unter den einzigen Druck, dem er nicht standhalten kann: den seiner Gesellschaft.
Ein Hauch solchen innovativen Denkens durchweht den deutschen Friedensplan. Er verlangt nicht mehr alles, ohne etwas zu bieten, sondern offeriert etwas, um dafür viele Konzessionen zu bekommen. Und schließlich räumt er auch noch den Betonklotz beiseite, gegen den die Konferenz von Rambouillet gefahren wurde. Dem Muster Bosnien-Herzegowinas folgend, propagiert der Plan eine vom UN-Sicherheitsrat autorisierte internationale Friedenssicherungstruppe. Gegen sie wird kein Serbe etwas einwenden wollen.
Mit diesem Friedensplan versucht Bonn nicht nur, das westliche Bündnis in den weltpolitischen Ordnungsrahmen zurückzuverfrachten, den der Westen aufgebaut und den die Nato jahrelang beschützt und verteidigt hat. Der Bonner Plan läßt auch ein Verständnis von politischer Strategie durchblicken, das den gesellschaftlichen Bedingungen der Gegenwart wenigstens andeutungsweise Rechnung trägt. Darin könnte ein interessanter Beitrag zur Debatte über die neue Nato-Strategie liegen, die in Washington geführt werden muß.
Bomben abzuwerfen ist nämlich nicht so einfach, wie es sich im Fernsehen darstellen läßt. Nur an der Propagandafront kann man, wie George Orwell es vorhergesagt hat, Gewaltanwendung auf Frieden reimen. Niemand bei der Nato oder in Washington hat auch nur eine Vorstellung davon, wie Kosovo, Montenegro und Albanien politisch aussehen werden, wie ihre Beziehungen zu Serbien neu geordnet werden können.
Der deutsche Friedensplan will aber immerhin die Gewalt, den Katalysator allen Unglücks auf dem Balkan, abbremsen. Um mit dieser Antiphon bei den Jubelliedern in Washington überhaupt gehört zu werden, braucht Bonn noch ein paar starke Stimmen aus der EU. Ernst-Otto Czempiel
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen