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Vorm Krawall steht der Dialog

Das alljährliche Berliner Mai-Ritual steht bevor. Und während sich in Kreuzberg die Revolutionäre rüsten, setzt die Polizei in diesem Jahr auf eine Gesprächsstrategie  ■   Von Barbara Junge

1. Akt, auf einer Brücke in Berlin-Kreuzberg. Vertreter der Polizei, lokale Politiker und Veranstalter der 1.-Mai-Demonstrationen diskutieren unter freiem Himmel. Das Thema: „Gewalt am 1. Mai, Mittel zum Zweck oder unzulässiges Mittel?“

Der Abgesandte der „Revolutionären 1.-Mai-Demonstration“, „Hans“: „Der Faschist hier am Tisch muß weg.“

Der Polizeidirektionsleiter von Kreuzberg, Klaus Karau: „Wenn einer den Kopf mit dem Kehlkopf verwechselt, ist eine Diskussion schwer zu führen.“

Das Publikum: „BRD-Bullenstaat, wir haben dich zum Kotzen satt!“

Die Moderatorin Dana Heitmann: „Es ist schön, daß wir uns hier zusammengefunden haben und so gut miteinander reden können.“ Auf den zweiten Akt darf man gespannt sein.

Dabei ist die neue Taktik der Berliner Polizei wahrlich entwaffnend. Statt nur am 1. Mai in den Straßen der Hauptstadt Sperren zu errichten, Demonstrationen ins Spalier zu nehmen und am Schluß doch nur wieder Tränengas zu versprühen und von DemonstrantInnen mit Bierflaschen und Pflastersteinen beworfen zu werden, hat der Chef der Berliner Landesschutzpolizei, Gernot Piestert, seinen BeamtInnen eine Kommunikationsoffensive verordnet.

In Mitte, in Kreuzberg, in Prenzlauer Berg und in Friedrichshain – den demonstrationsgeplagten Bezirken – brüten deshalb neugegründete Arbeitsgruppen Öffentlichkeit der Polizeidirektionen über Konzepten der Bürgernähe. Und setzen sich dabei mit denen auseinander, die sonst auf der anderen Seite der Barrikaden stehen.

Am Montag abend war es in Kreuzberg soweit. Die für den Kiez zuständige Direktion 5 hatte die Veranstalter der Mai-Demonstrationen geladen. Man wollte die Perspektiven eines friedlichen Feiertages diskutieren. Und ausloten, wie es mit der Gesprächsbereitschaft unter den Linksradiaklen steht. „Wir sondieren damit auch, was uns am 1. Mai hier in Kreuzberg erwartet“, hatte vor der Diskussion noch Klaus-Dieter Burkowski von der AG Öfentlichkeitsarbeit betont. Es sollte so eine Art Generalprobe werden.

Etwa 60 Linke waren zur Brücke gekommen, um ihren VertreterInnen auf dem Podium Rückendekkung zu geben. Unter sie mischten sich dann noch einmal etwa 40 Polizeibeamte in Dienstuniform wie in Zivil. Auf dem Podium saßen VeranstalterInnen zweier verschiedener linker Mai-Demonstrationen, VertreterInnen von verschiedenen Kreuzberger Initiativen, drei Polizeibeamte, ein CDU-Abgesandter und der Vize der Berliner Türkischen Gemeinde. Nur, eine gemeinsame Diskussion kam nicht zustande. Während VertreterInnen der einen Mai-Demonstration, getragen vor allem von ImmigrantInnen, die Forderung nach sofortiger Revolution in den Vordergrund stellten, charakterisierte der Vertreter der Polizeischule die vier Gruppen von DemonstrantInnen: „Friedlich, verbalradikal, gewaltgeneigt und gewaltorientiert.“ Die Gewalt, die von den Demonstrationen ausgeht, wollte das Publikum jedoch wiederum nicht diskutieren. Polizeigewalt war sein Thema.

Und zu guter Letzt zeigte eine alte Dame, die zufällig in die merkwürdige Runde geraten war, wie Konflikte in Kreuzberg ausgetragen werden. Mit Plastikbechern, vom Podium stibitzt, bewarf sie einen der Redner und zog befriedigt von dannen.

Die Kreuzberger Polizei zeigte sich nach der Veranstaltung dennoch nicht enttäuscht. „Ein gelungener Abend“, zog Öffentlichkeitspolizist Burkowski Bilanz. „Wir haben genau die Leute bei der Diskussion gehabt, die auf Knopfdruck linksautonom ihren Stein schmeißen. Das ist doch ein Anfang.“ Burkowski ist froh, daß zumindest an diesem Abend weder Steine noch Farbeier geflogen sind, und setzt auf den Abbau von gegenseitigen Vorurteilen: „Die sind auf die Einladung der Polizei hin gekommen. Wenn die jetzt auch noch ihr Feindbild verlieren, was haben die armen Menschen dann noch?“

Nachdem die große „Revolutionäre 1.-Mai-Demonstration“ in den vergangenen Jahren durch die Ostberliner Bezirke Mitte und Prenzlauer Berg gezogen war, kehrt sie 1999 wieder nach Kreuzberg zurück, wo sie 1987 einmal begonnen hatte. Doch nicht nur hier bereitet man sich mit solcherlei Diskussionen, einem fahrenden „Anti-Gewalt-Mobil“ und aktiver Arbeit an Schulen auf den fast schon traditionellen Großkampftag der Hauptstadt vor.

Ausgegangen war die Idee ursprünglich in der Polizeidirektion Prenzlauer Berg. Im vergangenen Jahr hatten vorwiegend Jugendliche nach der Demonstration einen Straßenzug in Schutt und Asche gelegt. Fensterscheiben wurden eingeworfen, Pflastersteine flogen auf die Polizei, Bauwagen brannten. Die Polizei war recht unvorbereitet getroffen worden, weil man mit Ausschreitungen in einem anderen Quartier des Bezirks gerechnet und diesen zum Ärger der BewohnerInnen regelrecht abgesperrt hatte.

In diesem Jahr hat die Direktion deshalb eine Arbeitsgruppe 1. Mai ins Leben gerufen. Auf ihrem Programm stehen eine Info-Hotline, ein Mai-Talk mit BürgerInnen ist geplant, die Sicherheitsexperten wollen sich zu einem Seminar versammeln, und ein Tag der offenen Tür soll die BürgerInnen informieren.

Im Bezirk Friedrichshain bleibt man ebenfalls nicht untätig. Am vergangenen Wochenende feierte die Polizei gemeinsam mit Kreuzberg ein Straßenfest, demnächst wird ein Mai-Diskussionszelt aufgebaut, und in der kommenden Woche steht ein Streetball-Turnier auf dem Plan, mit man „die Jugendlichen von der Straße holen“ will. Und dann will die Friedrichshainer Polizei noch an die ganz Jungen ran: In dieser Woche hat sie zum Thema 1. Mai einen Malwettbewerb an den Grundschulen des Bezirks gestartet. Den Kindern soll völlig freistehen, was sie malen. „Wir freuen uns, wenn sie nur Sonnenschein und Blumen zeichnen“, hofft Anja Roeder aus der Direktion Friedrichshain. Keine Wandbilder wie vor Jahren in Kreuzberg mit der grundwürdigen Parole: „Heraus zum 1. Mai“.

Mit Plastikbechern, vom Podium stibitzt, bewarf eine alte Dame einen Redner und zog befriedigt von dannen

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