piwik no script img

Zerbrechen die Grünen am Kosovo-Krieg?

Die Luftangriffe der Nato zermürben nicht Milosevic, sondern die Partei. Werden die Bombardements erfolglos fortgesetzt, befürchten manche ein Auseinanderbrechen der Grünen auf dem Sonderparteitag  ■ Von Dieter Rulff

Berlin (taz) – Bei den Grünen werden mittlerweile Befürchtungen laut, daß die Kontroverse um den Kosovo-Krieg zu einem Auseinanderbrechen der Partei führen könnte. Die Vorstandsprecherin Antje Radcke sagte am Montag abend nach einer Sitzung des Parteirates, wenn es nicht gelinge, auf dem Sonderparteitag am 13. Mai eine Position zu formulieren, die viele Mitglieder vereint, werde der Unmut womöglich so groß, daß ein Teil der Partei sich abspaltet oder austritt. Etwa 200 Mitglieder haben bislang die Partei wegen ihres umstrittenen Kurses im Kosovo-Konflikt verlassen, zumeist „Bauchgrüne aus dem ländlichen Raum“, wie es etwas lapidar heißt.

Der Parteitag habe, so Radcke, eine riesengroße Verantwortung, damit die Partei nicht zerbreche.

Darüber, wie diese Verantwortung wahrgenommen werden soll, gehen die Meinungen bei den Grünen allerdings noch weit auseinander. Der Bundesvorstand hat eine Resolution beschlossen, in der von einer „Option eines einseitigen befristeten Waffenstillstandes“ die Rede ist, für die sich die Bundesregierung bei der Nato einsetzen solle. Luftangriffe gegen zivile Ziele in Serbien und Montenegro werden abgelehnt. Bundeskanzler Gerhard Schröder mahnte darauf hin die Grünen, daß die Unterstützung des Kurses der Bundesregierung in dieser Frage ein Stück Substanz der Koalition sei.

Der Beschluß des Bundesvorstandes war einstimmig. Tags zuvor hatte sich Radcke bei einem Treffen des Bundesfrauenrates für eine einseitige und befristete Aussetzung der Luftangriffe außerhalb des Kosovo ausgesprochen.

Bei einem Treffen des linken Babelsberger Kreises war eine große Mehrheit für die sofortige Beendigung der Nato-Angriffe. Lediglich etwa ein Drittel der Teilnehmer soll für eine moderatere Position plädiert haben, die der Haltung des Bundesvorstandes entspricht. Unter ihnen auch der Bundesumweltminister Jürgen Trittin.

Trittin, der sich mit öffentlichen Äußerungen zum Kosovo- Konflikt bislang zurückgehalten hat, sorgte gestern kurzzeitig für Aufregung in Bonn. Als Meldungen aus den Vereinigten Staaten eintrafen, nach denen Trittin in Washington die Nato-Luftangriffe auf Jugoslawien als einen Fehler bezeichnet haben soll, drohte am Dienstag daheim die rot-grüne Koalition ins Wanken zu geraten. Die Rebellion auf Spitzenebene der Grünen gegen den Regierungskurs im Kosovo-Krieg schien damit immer mehr Konturen anzunehmen, nachdem bereits Trittins Grünen-Parteifreundin und Staatssekretärin im Umweltministerium, Gila Altmann, einen Appell zur Beendigung des „Nato-Angriffskriegs“ unterzeichnet hatte.

Doch dann ließ Trittin seine „angeblichen Äußerungen“ dementieren. Der Minister steht nach Angaben seines Sprechers hinter dem Regierungskurs im Kosovo-Krieg. Damit gesellte sich Trittin nun doch wieder zu jenen Grünen-Spitzenpolitikern, die derzeit keine Alternative für die Luftangriffe des Bündnisses auf Jugoslawien sehen. Trittin hat, so sein Sprecher, nicht die Luftangriffe als Fehler bezeichnet, und deren schnelle Beendigung verlangt. Er habe lediglich gesagt, die Erwartung, mit militärischen Schlägen zu schnellen Erfolgen zu kommen, sei eine Fehleinschätzung gewesen. Außenminister Joschka Fischer sagte vor Journalisten in Brüssel, Trittin habe „nichts Neues“ gesagt.

Trittins Positionierung ist von besonderer Bedeutung: Weil er als Kabinettsmitglied einer besonderern Loyalität gegenüber dem Kurs der Bundesregierung verpflichtet ist und weil der Linke eine potentielle Führungsfigur für alle Kriegsgegner in der Partei werden könnte. Bereits in der letzten Kabinettssitzung hatte Trittin kritische Fragen zu Sinn und Zweck der Lufteinsätze gestellt. Dabei soll, so war danach zu erfahren, weniger der Inhalt der Fragen als vielmehr die distanzierte Haltung, die der Bundesumweltminister dabei an den Tag legte, für Irritationen bei einigen sozialdemokratischen Kabinettskollegen gesorgt haben. Joschka Fischer soll die Debatte mürrisch abgebrochen haben. Die Fraktionsvorsitzende Kerstin Müller, die wie Trittin der sogenannten Regierungslinken zugerechnet wird, sprach sich gestern gegen einen einseitigen Waffenstillstand aus und setzte sich damit von den Positionen des Bundesvorstandes ab.

Ob die Fortsetzung der Luftangriffe der Punkt ist, an dem sich die Kontroverse auf dem Sonderparteitag in Hagen entzündet, vermag noch niemand in der Partei zu sagen. Das hänge, so ist die allgemeine Antwort, von der weiteren Entwicklung im Kosovo ab.

Allerdings ging der Fraktionsvorsitzende Rezzo Schlauch gegenüber der taz von der Einschätzung aus: „Je länger es geht, desto härter der Parteitag“. Der schlimmste Fall würde seines Erachtens eintreten, wenn die Fraktion und Fischer von dem Parteitag aufgefordert würden, für einen einseitigen Waffenstillstand einzutreten. Allerdings erwartet Schlauch, daß die Grünen den Kurs ihres Außenministersrespektieren.

Der Bundesvorstand erarbeitet den Leitantrag für den Parteitag. Der soll, nach demn Worten von Vorstandssprecherin Röstel, ein breites Spektrum der Partei repräsentieren. Von Bedeutung für die Entscheidung wird auch der Ablauf des Parteitages sein. Geplant sind einleitende Vorträge von prominenten Experten, die nicht der Partei angehören.

Die Überlegung des Vorstandes, als Gastredner den SPD-Linken und Wortführer derFriedensbewegung der achtziger Jahre Erhard Eppler einzuladen, wurde bereits von den Linken in der eigenen Partei zurückgewiesen.

Eppler war zuletzt auf dem Parteitag der SPD aufgetreten. Nach seiner beeindruckenden Rede zum Kosovo-Krieg, in der er für viele überraschend den Kurs der Bundesregierung unterstützte, war die Debatte beendet worden. Schröder erhielt eine unerwartet breite Zustimmung für seine Politik.

Je länger die Bombardements der Nato erfolglos bleiben, desto härter wird für die Grünen ihr Sonderparteitag

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen