Kommentar
: Das Monster des Westens

■ Scharping weiß es jetzt genau: Mit Milosevic geht nichts mehr

Vier Wochen lang hat Rudolf Scharping moralisch aufgerüstet. Jetzt ist aus Slobodan Milošević endgültig der Schlächter von Belgrad geworden. Der deutsche Verteidigungsminister schließt ihn als Verhandlungspartner aus: „Der Mann gehört vor das Kriegsverbrechertribunal in Den Haag, nicht an den Verhandlungstisch.“ Dem ist nicht zu widersprechen. Milošević ist ein Kriegsverbrecher, und mit ihm ist eine politische Lösung auf dem Balkan nicht vorstellbar. Aber was heißt das? Belgrad in Schutt und Asche bomben, in der Hoffnung, Milošević, der jede Nacht in einem anderen Bunker schläft, umzulegen?

Schenken wir Scharping, daß er noch vor zwei Wochen gesagt hat, man könne sich seine Verhandlungspartner nicht aussuchen. Halten wir ihm nicht vor, daß Joschka Fischer am 8. März mit dem jugoslawischen Präsidenten verhandelt hat. War Milošević, der Kroatien und Bosnien mit blutigen Kriegen überzogen hat, damals noch kein Kriegsverbrecher? Konfrontieren wir Scharping nicht mit dem Versagen des Westens auf dem Balkan; aus diesem Versagen folgt aber, wie der slowenische Philosoph Slavoj Žižek schreibt, daß der Westen mit Milošević nicht seinen Feind bekämpft, sondern „seine eigene Kreatur, ein Monster, das aus den Kompromissen der westlichen Politik selbst erwachsen ist“.

Verschonen wir unseren Verteidigungsminister mit diesen Nebensächlichkeiten. Konzentrieren wir uns aufs Wesentliche: Wenn nicht mit Milošević, mit wem dann will der Westen verhandeln? Und worüber? Über ein unabhängiges Kosovo oder über eine Autonomie? Und wenn die Nato, wie die amerikanische Außenministerin behauptet, Milošević mit ihren Bomben nicht stürzen will – wie will ihn der Westen vom Verhandlungstisch fernhalten? Gesetzt den unwahrscheinlichen Fall, Milošević überlegt es sich anders und akzeptiert den Vertrag von Rambouillet – reißt Scharping ihm dann den Füller aus der Hand und läßt ihn von deutschen Fernmeldern verhaften? Wenn der Westen wirtschaftliche Hilfe für Serbien in Aussicht stellt – will er dann Millionen Menschen auf dem Balkan mit dem Schicksal dieses einen Mannes verbinden?

Solange Scharping keine dieser Fragen beantwortet, sollte er uns mit seiner (verständlichen) Moral verschonen. Er ist schließlich nicht Chef von „Brot für die Welt“, sondern Verteidigungsminister eines wichtigen Nato-Landes. Jens König