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Spionage: Wienand begnadigt

Der 72jährige ehemalige SPD-Fraktionsgeschäftsführer Karl Wienand muß nicht hinter Gitter. Bundespräsident Herzog begnadigte den Schwerkranken  ■   Aus Bonn Thorsten Denkler

1996 wurde er für ein Verbrechen verurteilt, das er nach eigenen Angaben nie begangen hat. Zweieinhalb Jahre sollte der ehemalige Parlamentarische Fraktionsgeschäftsführer der SPD-Bundestagsfraktion, Karl Wienand, hinter Gitter. Das ist nun passé. Bundespräsident Roman Herzog hat den 72 Jahre alten schwerkranken Mann begnadigt, wie gestern das Bundespräsidialamt bestätigte.

Für die Richter am Staatsschutzsenat des Oberlandesgerichtes Düsseldorf war der Fall nach einjähriger Prozeßdauer klargewesen: Wienand soll von 1976 bis 1989 Interna aus der SPD und politische Lageeinschätzungen an eine Stasi-Kontaktperson namens Alfred Völkel übergeben haben. Sie verurteilten Wienand zu zweieinhalb Jahren Haft und der Rückzahlung seines Agentenlohns in Höhe von einer Million Mark.

Wienand galt in den späten 60er und frühen 70er Jahren als einer der bedeutendsten Politiker seiner Zeit. Er war ein enger Vertrauter von Fraktionschef Herbert Wehner. Für die Stasi, so die Richter, war er deshalb ein „besonders wichtiger Informant“.

Karl Wienand hat die Spionagevorwürfe immer bestritten. Seinen Gesprächspartner Völkel hielt er für einen Mitarbeiter des Ostberliner Ministerrates, nicht aber für einen Stasi-Spitzel. Der mitangeklagte Völkel entlastete Wienand in dem Prozeß. Er gab zu Protokoll, Wienand ohne dessen Wissen „abgeschöpft“ zu haben. Das Gericht bezweifelte diese Version jedoch ob der großzügigen Entlohnung. Wienand nach der Urteilsverkündung: „Ich werde das Urteil nicht hinnehmen.“

In Spionageverdacht kam Wienand erst 1993. Eine Agenten-Beschreibung aus der DDR-Spionagezentrale Hauptverwaltung Aufklärung (HVA) brachte die Ermittler der Bundesanwaltschaft auf seine Spur. Der Topspion mit dem Codenamen „Streit“ sei ein älterer SPD-Politiker aus dem Rheinland und hinke auffällig. Wienand hatte im Zweiten Weltkrieg ein Bein verloren und muß seitdem eine Prothese tragen.

Trotz der Verurteilung kam das Düsseldorfer Gericht zu dem Schluß, daß Wienand keinerlei staatswichtige Geheimnisse verraten habe. Sein Wissen habe er „nur aus vorhandenen Quellen geschöpft“. Ein Schaden für die Bundesrepublik sei „nicht meßbar“.

Alle Versuche Wienands, das Urteil rückgängig zu machen, schlugen fehl. Im November 1997 verwarf der Bundesgerichtshof eine Revision. Noch im Januar wollte sein Anwalt einen Antrag auf Wiederaufnahme des Verfahrens stellen, weil neue entlastende Beweise vorlägen. Diesem Vorhaben kam der Bundespräsident mit seiner Begnadigung zuvor. Allerdings hat Herzog eine verhältnismäßig hohe Bewährungsstrafe von fünf Jahren damit verknüpft. In ähnlichen Fällen werden Bewährungsstrafen von zwei bis drei Jahren verhängt. Beobachter vermuten, daß Herzog der Schritt leichtgefallen sei. Für die Begnadigung Wienands hatte sich auch Altbundeskanzler Helmut Schmidt stark gemacht.

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