: Vom Auto lernen heißt siegen lernen
Fakt ist: Autofahren führt zu autistischem Fahrverhalten und Staus. Eine Expertentagung in Berlin auch über den privaten Raum „Personenwagen“ suchte Gründe für die Misere des öffentlichen Verkehrs in der größten Stadt der Bundesrepublik – und Auswege aus dem Elend ■ Von Philipp Gessler
Es ist ja nicht so, daß man nichts getan hätte: Seit dem Mauerfall wurden acht Milliarden Mark in den öffentlichen Personennahverkehr (ÖPNV) der Hauptstadt investiert. Und herausgekommen ist nach den Worten des Staatssekretärs für Stadtplanung, Hans Stimmann, tatsächlich „das beste deutsche ÖPNV-Angebot“. Aber der erhoffte Effekt trat nicht ein, im Gegenteil. Dem öffentlichen Verkehr liefen die Kunden seit 1989 „in Scharen“ davon; es sind heute sogar zehn Prozent weniger als damals. Warum ist das so? Und was kann man dagegen tun?
Auf diese Fragen versuchte eine Tagung von Verkehrsexperten am Montag bis in die Nacht Antworten zu finden. Und eine verblüffende, wenn auch nicht unumstrittene Lösung war: Vom Auto lernen – denn „vom Auto lernen heißt siegen lernen“, wie die Experten überspitzt formulierten. Das Attraktive am Auto, so erklärte Weert Canzler vom Wissenschaftszentrum Berlin für Sozialforschung, sei, daß es zwar zu einem „autistischen Verkehrsverhalten“ führe, aber scheinbar wirtschaftlich unschlagbar sei: Habe man die Karre erst angeschafft und dabei viel Geld ausgegeben, fahre sie auf den ersten Blick im Vergleich zu Bus und Bahn günstig durch die Stadt.
Das Auto sei zudem perfekt für die Fahrt von Haus zu Haus, werde als privater Raum wahrgenommen und diene dadurch der „Streßentlastung“.
Als „ideales Mittel der Selbstbeweglichkeit (auto-mobil)“ ermögliche und befördere der Wagen zugleich die gesellschaftlichen Entwicklungen der Suburbanisierung, der Individualisierung und der Flexibilisierung unseres Lebens. Um die Akzeptanz des ÖPNV zu steigern, müsse deshalb das Marketing für den öffentlichen Verkehr gesteigert werden. Das Angebot müsse die Routine abdecken, die man als Verkehrsteilnehmer von seinem Fortbewegungsmittel erwarte: Der ÖPNV müsse wie das Auto „einfach, zuverlässig und prestigeträchtig“ sein.
Denn klar war allen Experten, daß die Entwicklung nicht so weitergehen kann wie bisher. Wenn man sich nicht radikal gegenzusteuern getraue, werde die Autofahrleistung selbst bei einer nur begrenzten Bevölkerungszunahme um 8 Prozent in Berlin und 14 Prozent im Umland verglichen mit dem Jahr 1995 bis 2010 um die Hälfte zunehmen, warnte der Verkehrsexperte der Senatsverwaltung für Stadtentwicklung, Friedemann Kunst. Der Umlandverkehr wird diesen Prognosen nach sogar um 70 Prozent steigen – was das bedeuten würde, kann jeder verstehen, der einmal im Dauerstau zur Rush-Hour mit dem Auto vom Alexanderplatz in den Speckgürtel kommen wollte.
Der Ausweg aus dem drohenden Verkehrs-GAU: nach Ansicht der Experten eine „integrierte Mobilität“, die nicht den Gegensatz Auto–ÖPNV pflegt, sondern öffentlichen und privaten Verkehr zu verbinden sucht. Als leuchtendes Beispiel präsentierte der Luzerner Peter Muheim sein „Mobility CarSharing“-Unternehmen. Verteilt auf 700 Stellplätze in der ganzen Schweiz, laden 1.100 Fahrzeuge zum Car-Sharing ein, immerhin 27.000 Menschen machen mit. Durch die Zusammenarbeit mit dem ÖPNV sei es den Kunden möglich, sich in 75 Prozent aller Fälle mit dem öffentlichen Verkehr zu bewegen: Und das Auto müssen die cleveren Schweizer nur noch ausnahmsweise nutzen.
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