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Steuervorteile für Gewerbe verfassungswidrig

■ Bundesfinanzhof: Abgesenkter Spitzensteuersatz verstößt gegen Gleichheitsgrundsatz

München (dpa) – Der Bundesfinanzhof (BFH) hat die Begünstigung von gewerblichen Einkünften bei der Einkommensteuer für verfassungswidrig erklärt. Der im Vergleich zu anderen Einkunftsarten seit 1994 abgesenkte Spitzensteuersatz bei gewerblichen Einkünften verstoße gegen den grundgesetzlich garantierten Gleichheitsgrundsatz, entschied der 10. Senat des höchsten deutschen Steuergerichts in einem gestern veröffentlichten Beschluß. Der Senat legte Paragraph 32c des Einkommensteuergesetzes dem Bundesverfassungsgericht zur Prüfung vor. Durch den Steuerreform-Kompromiß von Mitte 1993 war der Spitzensteuersatz für gewerbliche Einkünfte von 1994 an um sechs Punkte auf zunächst 47 Prozent abgesenkt worden. Dagegen blieb der Spitzensatz für private Einkommen bei 53 Prozent. Seit 1999 ist der Spitzensteuersatz für gewerbliche Einkünfte auf 45 Prozent begrenzt.

Die Begünstigung gewerblicher Gewinne verletze das „Gebot einer grundsätzlich gleichen und folgerichtigen Belastung“ der von der Einkommensteuer erfaßten Einkunftsarten, befand der BFH. Dieser Schritt sei auch nicht durch wirtschaftspolitische Gründe gerechtfertigt: „Grundsätzlich eigennützig erwirtschaftete gewerbliche Einkünfte sind nicht in größerem Umfang gemeinwohldienlich als andere Einkünfte.“ Auch die Belastung der gewerblichen Einkünfte durch die Gewerbesteuer sei kein Grund zur einseitigen Senkung dieses Spitzensteuersatzes.

Aus dem im Grundgesetz vorgeschriebenen Gleichheitsgrundsatz folge für das Steuerrecht, daß „jeder Steuerpflichtige nach seiner finanziellen Leistungsfähigkeit gleichmäßig zur Finanzierung der allgemeinen Staatsaufgaben herangezogen wird“, erinnerte der BFH-Senat. Bezugspunkt der Gleichheitsprüfung sei dabei die Fähigkeit, Steuern zu zahlen. Die dem Gesetz offenbar zugrundeliegende Auffassung, Bezieher von hohen Einkommen bedürften in besonderem Maße einer steuerlichen Entlastung, widerspricht nach Ansicht des BFH der systemprägenden Grundentscheidung für einen progressiv gestalteten Tarif.

Auch die wirtschaftspolitische Intention des Gesetzgebers, durch eine Absenkung des gewerblichen Spitzensteuersatzes für mehr Investitionen und somit für mehr Arbeitsplätze zu sorgen, rechtfertige die ungleiche Besteuerung nicht. (Az.: X R 171/96)

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