Revolutionär kacheln

Jeder Künstler ein Zimmermann? Überall Möbel in der Galerie Anselm Dreher und bei neugerriemschneider  ■   Von Harald Fricke

Ein Tisch ist ein Tisch ist ein Tisch. Manchmal. Oder aber eine Skulptur, ein Raumelement, ein piece of art. Wo der Künstler mit den Dingen flexibel hantiert, ist der Philosoph eher engstirnig: Bei Platon werden die Künste deshalb geringgeschätzt, weil sie nur ein Bild von einer Sache produzieren, während der Tischler zumindest Ernst macht und Stühle herstellt. Am wichtigsten ist bei ihm aber der Denker, der sich Gedanken über die Idee eines Stuhls macht – das war in den glücklicheren Zeiten der Philosophie. Umgekehrt hat der Konzeptkünstler Joseph Kosuth in den sechziger Jahren einen Stuhl, ein Foto von dem Stuhl und die lexikalische Definition eines Stuhls nebeneinander installiert: die Geburt der Postmoderne aus dem Möbelstück?

Vielleicht. Die Galerie Anselm Dreher hat in dieser Hinsicht jedenfalls Tradition: Immerhin gehört auch Kosuth zu den Künstlern, mit denen der Galerist seit einer Weile schon arbeitet. Der Ausstellungstitel „A piece of furniture ...“ ist entsprechend ironisch – als Möbel taugt keines der Objekte richtig. Eher schon als Kunst. Heimo Zobernigs Tapeziertisch fordert ja geradezu den Malermeister im Betrachter heraus. Bei Bruce Naumans Video „Violent Incident“ kann man einem Pärchen zuschauen, wie es sich prügelt – aber auch hier ist ausgerechnet ein Stuhl, den er ihr unter dem Hintern wegzieht, Auslöser für den Beziehungsstreß. Splatterfreunde könnten auch Lucinda Devlins Fotografie aus dem clean graublau und chrom blitzenden Labor für Leichenpräparation als Porträt einer stilvoll funktionalen Inneneinrichtung interpretieren. Oder als Filmsetting für „Akte X“.

Auf dem Tisch ist auf dem Tisch

Der Wechsel von Kontemplation in soziale Praxis gelingt dagegen Rirkrit Tiravanija, dessen Installation sich direkt auf Lawrence Weiners Arbeit zu beziehen scheint. Gewohnt trocken hat Weiner zweisprachig den Satz „What is set upon the table sits upon the table – was auf dem Tisch steht steht auf dem Tisch“ an die Wand geschrieben. Daneben hat der thailändische Künstler einen Tisch mit allerlei Utensilien zur „Tea-time“ gedeckt. Wer möchte, kann sich am Gasbrenner Tee kochen. So wird Weiners dichte Beschreibung in eine Handlung überführt, die etwas über kulturelle Komplexitäten aussagt: In Erinnerung an asiatische Wandervölker läßt sich der Tisch wie ein Rucksack auf den Rücken schnallen.

John M. Armleder interessiert vor allem die Irritation durch Gestaltung. Der Franzose macht Nierentische zu Couchlampen, indem er die Füße an die Wand nagelt und Neonröhren unter die Tischplatte schraubt. Trotzdem bleibt das Mobiliar nach der Verfremdung immer noch ein Möbelstück, an dem schon John Ruskin und Oscar Wilde ihre Freude gehabt hätten. Schließlich waren die beiden Briten unerbittliche Gegner der bloß funktionalen Ästhetik im Zeitalter der Industrialisierung gewesen.

An diesem Punkt setzt auch die Arbeit von Jorge Pardo an: Der gebürtige Kubaner mit kalifornischem Wohnsitz hat eine Vorliebe für die amerikanische Arts & Crafts-Bewegung. Bereits in den 30er Jahren wurde im New Yorker Museum of Modern Art „Good Design“ ausgestellt, von Marcel Breuers reduziertem Lederschwinger bis zu Fulvio Bianconis „Taschentuch“-Blumenvase.

60 Jahre später nimmt Pardo die Spur der Inneneinrichter wieder auf. In Rotterdam installierte er Lampen fürs Museum, in Los Angeles ließ er ein komplettes Haus bauen, und bei neugerriemschneider kann man vor seinem gekachelten Fußboden meditieren. Dabei geht es Pardo vor allem um Widersprüche zwischen künstlerischer und handwerklicher Produktion: Die Keramikkacheln wurden in Mexiko einzeln gebrannt, nach Berlin verfrachtet und im Galerieraum zum weitflächigen Kunstwerk verfugt. Der Transfer geht über eine Spielerei um Ready-made und Dekoration hinaus. Der kleinteilig gemusterte Bodenbelag hat zwar den Chic gängiger Ambient-Konzepte. Am Ende geht es trotzdem um die Rückbindung von Kulturgütern ans Leben. Kacheln für die Weltrevolution. Bleibt die Frage, ob man sich in Mexiko Pardos Beitrag zur Globalisierung überhaupt leisten kann.

„A piece of furniture“. Bis 19. 6., Di. – Fr. 14 – 18.30 Uhr, Sa. 11 – 14 Uhr, Galerie Anselm Dreher, Pfalzburger Straße 80, Wilmersdorf

Jorge Pardo: „Untitled 99“. Bis 29. 5., Di. – Sa. 11 – 18 Uhr, Linienstraße 155, Mitte