: „Heraus zum 1. Mai, sagt die Partei“
■ Die einen befürchten eine politgarnierte Love Parade, die anderen setzen auf poppige Flugblätter, aber auf der Straße werden sie alle sein, die 1.-Mai-Demonstranten
Es ist merkwürdig still vor dem 1. Mai, dem jährlichen Kampftag des autonomen Spektrums in Berlin. Während die Polizei eine Öffentlichkeitsoffensive mit Diskussionen, Infomobilen und Tagen der Offenen Tür in Polizeiwachen startete, um mit der Bevölkerung über ihr Vorgehen zu debattieren, beschränkt sich die autonome Szene weitgehend auf die Ankündigung der Demotermine. Eine Debatte findet praktisch nicht statt.
Selbst in der Interim, dem „wöchentlichen Berlin-Info“ der Szene, wird in erster Linie der Krieg in Jugoslawien behandelt. Einzig ein Papier der Antifaschistischen Aktion Berlin (AAB) erklärt Sinn und Zweck der diesjährigen Wiederholung des Rituals.
Die Blattmacher der Interim bringen die Lage in ihrem Editorial auf den Punkt: „Heraus zum 1. Mai, sagt die Partei (AAB). Und wieder kommen wir fast alle. Und wir haben Spaß dabei. Nur interessiert es kaum jemanden, was die Partei da so sagt. So war das schon in den letzten zehn Jahren und ist heute nicht anders. Als Inhalt ist es für die meisten Demonstrierenden mehr als genug, sich radikal und links und grundsätzlich systemoppositionell ausdrücken zu wollen. Und manche Menschen wollen die Gelegenheit nutzen, um ein paar Steine zu schmeißen.“ Diesmal soll es „internationalistisch, antifaschistisch und linksradikal“ ins nächste Jahrtausend gehen, heißt es weiter. Wirklich neu ist neben der Aufnahme aktueller Themen – wie der Kosovo-krieg und der Prozeß gegen PKK-Führer Öcalan – in diesem Jahr aber nur der Demonstrationsort. Erstmals seit drei Jahren soll wieder am Oranienplatz in Kreuzberg demonstriert werden, wo 1988 die erste revolutionäre Mai-Demo gestartet war.
Nachdem die Polizei bei der Mai-Demo 1992 den eher undogmatischen Teil der Demonstraten vor militanten Angriffen stalinistischer Gruppen schützen mußte, war es zum Bruch innerhalb der Demovorbereiter gekommen. So mobilisierte 1994 das Antiolympiakomitee erstmals gegen die Demo, die nun von den Stalinisten allein organisert wurde.
Nachwuchsgruppen wie die AAB, die in den Streit weniger eingebunden waren, versuchten einen Neuanfang und mobilisierten 1996 erstmals zu einer Paralleldemo in den Ostbezirk Prenzlauer Berg, auch wenn sich autonome Ostgruppen dagegen wehrten, daß damit die Ausschreitungen in ihren Kiez verlegt wurden.
Die AAB ist erst seit etwa 1993 in Berlin aktiv. Sie gilt in der Szene als junge Gruppe, „vor allem aus Gymnasiasten bestehend“, die sich in Jugendantifagrupppen engagieren. Mit poppigen Flugblättern und einem bei der letzten Mai-Demo erstmals aufgefahrenen Demotruck mit riesigen Boxen, der den traditionellen VW-Bus mit knarzendem Lautsprecher ersetzte und statt dessen die Demoteilnehmer mit in Radioqualität vorproduzierten Jingles unterhielt, trifft die AAB das Lebensgefühl der überwiegend jugendlichen Demonstranten. Was prompt zu neuem Dissens unter den Vorbereitern führte. Eine „alternative Love Parade garniert mit etwas Politkrams“ befürchtete die Gruppe „Venceremos“, die die letztjährige Demo mitorganisert hatte, auch für dieses Jahr und forderte „mehr Bezug zur Gegenwart“.
Im Jahr des Regierunsumzuges müsse man das „zunehmende Großmachtstreben“ Deutschlands und „den damit einhergehenden Rassismus und Antisemitismus thematisieren“, verlautbarte Venceremos zu Jahresbeginn und fragte: „Warum sich in den Kiez zurückziehen und kleine Läden demolieren, wenn man/frau durch Daimler-City laufen kann?“ Doch ihr Vorschlag im „Zentrum der Macht“, dem neuen Potsdamer Platz, zu demonstrieren, setzte sich nicht durch.
Statt dessen blieb die AAB beim Kiezkonzept und mobilisiert wieder zum Oranienplatz. Allerdings erst für 18 Uhr. Um 13 Uhr demonstrieren dort weiterhin stalinistisch-maoistische Gruppierungen. Die Startzeit war im letzten Jahr erstmals auf den frühen Abend verlegt worden, um auch vor Ort gegen den NPD-Aufmarsch in Leipzig protestieren zu können. Mit möglichen rechten Demonstrationen wird auch in diesem Jahr der Termin begründet, selbst wenn klar sein dürfte, daß Teilnehmer gegen den in diesem Jahr in Bremen geplanten Naziaufmarsch, nicht auch noch in Berlin demonstrieren können.
Die inhaltliche und organisatorische Aufspaltung der Demovorbereiter führt noch zu weiteren Problemen. „Es kommen immer weniger organisierte Gruppen, die den Demonstrationszug strukturieren können“, meint ein Szenekenner. Schon im letzten Jahr hatten Aufrufe der Demoleitung, Ketten zu bilden, kaum Resonanz gefunden. Das gefährde einerseits „die unerfahreren Leute bei Übergriffen der Polizei“ und führe im Falle einer Eskaltion auch zu wahllosen Zerstörungen, weil sich die Steinewerfer auch in den Kiezen nicht auskennen würden. Dennoch habe sich die revolutionäre 1.-Mai-Demo keineswegs überholt, bilanziert er, auch wenn der Protest politisch sehr diffus sei. Denn für „erstaunlich viele sei das Datum einfach immer noch ein Tag des Protestes“. Gereon Asmuth
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