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Annäherung an eine verdrängte Geschichte

Das Militärgeschichtliche Forschungsamt der Bundeswehr präsentierte einen Sammelband über die Wehrmacht. SPD-Politiker Klaus von Dohnanyi forderte vergleichende Studien mit alliierten Armeen  ■   Aus Berlin Christian Semler

Wohin man blickte, Uniformen; Ordonanzen balancierten Getränketabletts durch die Menge, gedämpfte, durch keinerlei schnarrende Offizierstöne gestörte Unterhaltungen. Wir befanden uns in Potsdam , aber nicht im Zentrum soldatischer Traditionspflege. Sondern mitten unter den militärischen Nestbeschmutzern, im Audimax der Universität Potsdam. Das Militärgeschichtliche Forschungsamt der Bundeswehr (MGFA), früher in Freiburg, jetzt in der brandenburgischen Landeshauptstadt, hatte am Mittwoch eingeladen, um der Öffentlichkeit einen 1.300 Seiten dicken Wälzer zu präsentieren. Sein Titel „Die Wehrmacht, Mythos und Realität“.

Das MGFA hat, vor allem unter der Federführung Manfred Messerschmidts, viel dazu beigetragen, die westdeutsche Nachkriegslüge von der „sauberen“ Wehrmacht zu destruieren. In der Serie „Das Deutsche Reich und der Zweite Weltkrieg“ und in zahlreichen Monographien, z.B. der von Walter Manoscheck „Serbien ist judenfrei“ von 1992 , wurde die „Einbindung“ der Wehrmacht in die nazistischen Kriegsverbrechen und den Völkermord an den Juden nachgewiesen. Die Ausstellung des Hamburger Instituts für Sozialforschung über den Vernichtungskrieg der Wehrmacht wäre ohne die Vorarbeiten des MGFA undenkbar.

Dennoch hat das Institut nicht nur Kritik von konservativer Seite erfahren, auch progressive, an der sozialgeschichtlichen Forschung orientierte Historiker nahmen Anstoß daran, daß die „Geschichte von unten“, wie sie sich zum Beispiel in den Feldpostbriefen deutscher Soldaten zeige, unzureichend berücksichtigt worden sei. Historiker wie Omar Bartov untersuchten die enge Bindung zwischen Armee, Regime und Gesellschaft unter dem Nazismus und betonten dabei die zentrale Rolle des Massenbewußtseins in der Wehrmacht.

Nicht zuletzt um sich mit diesen Kritiken auseinanderzusetzen, veranstaltete das Forschungsamt im Spätsommer 1997 ein internationales Kolloquium, dessen Resultate in dem Sammelband niedergelegt sind. In sieben Abschnitten, die jeweils mit einer Einleitung versehen sind, werden die Referate versammelt. Von besonderem Interesse scheinen jene Teile, in denen die Sozial- und Strukturgeschichte der Wehrmacht, die Mentalitäten und der Kriegsalltag sowie die Wehrmacht als Teil des „NS-Unrechtsstaates“ behandelt werden. Hier liegt das Terrain der Auseinandersetzung mit der kritischen Geschichtsschreibung zur deutschen Armee im Zweiten Weltkrieg. Zur Wehrmachtsausstellung finden sich nur wenige explizite Stellungnahmen. In seiner Einleitung schreibt der Oberst und Historiker Friedhelm Klein, Amtschef des MGFA: „Die öffentliche Diskussion über die Wehrmacht hat vielfach die Perspektive in wissenschaftlich unakzpetabler Weise auf die Frage der Kriegsverbrechen verengt. Auch hat der heftige Meinungsstreit Ausmaße angenommen, die eine vorurteilslose, an wissenschaftlichen Kriterien orientierte Aufarbeitung der angesprochenen Fragen dringlich erscheinen lassen.“ Eine offenbar vergebliche Hoffnung. Denn solange die Weißwäscher in der Öffentlichkeit das Feld beherrschen, wird das Forschungsamt nicht umhin kommen, im „heftigen Meinungsstreit“ Partei zu beziehen.

Zur Präsentation des Werks hatte das MGFA den früheren Hamburger Regierenden Bürgermeister Klaus von Dohnanyi (SPD) eingeladen. In seiner Einführung stellte sich von Dohnanyi, dessen Vater von den Nazis hingerichtet wurde, hinter die Hamburger Wehrmachtsausstellung. Er referierte kommentarlos die beiden Haupteinwände gegen das Unternehmen Hannes Heers (Einseitigkeit, Zweifel an der Authentizität der Dokumente), meinte aber dann, erst die Ausstellung habe den Weg frei gemacht zu einer gründlichen öffentlichen Diskussion. Dohnanyi wehrte sich gegen alle Formen moralischer Überheblichkeit seitens der Nachgeborenen. Er bestand darauf, daß es in Deutschland Täter, Helfershelfer, Zuschauer und Wegseher gegeben habe und jedem Urteil eine Selbstprüfung – „Wie hätte ich mich damals verhalten?“ – vorangehen müsse. Zwei Thesen von Dohnanyis forderten zur Diskussion (die unterblieb) heraus. Zum einen meinte er, nur wer Soldat oder wenigstens Zeitgenosse gewesen sei, könne wirklich verstehen, was in den Angehörigen der Wehrmacht vor sich gegangen sei. Zum zweiten forderte er einen historischen Vergleich mit anderen Armeen im Zweiten Weltkrieg. Dieser Vergleich, so Dohnanyi, würde ergeben, daß die deutschen Verbrechen zwar singulär gewesen seien, daß aber auch die Alliierten größte Schuld auf sich geladen hätten. In diesem Zusammenhang sprach Dohnanyi vom Abwurf der Atombombe über Hiroshima und Nagasaki als „industriell betriebenem Massenmord“.

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