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„Auch ich bin ein Kind der Republik“

Eine junge Frau sorgt bei der konstituierenden Sitzung des neuen türkischen Parlaments für einen Eklat. Die islamistische Abgeordnete Merve Kavakci erscheint zur Vereidigung mit Kopftuch  ■   Aus Istanbul Jürgen Gottschlich

„Sie ist ein Agent Provocateur. Das war ein Akt des Seperatismus“. Der türkische Staatspräsident Süleyman Demirel war zutiefst empört und mit ihm der gesamte Generalstab. Zuvor hatte Ministerpräsident Bülent Ecevit höchst erregt ins Mikrofon gerufen: „Das Parlament ist nicht der Ort, den Staat herauszufordern. Gehen Sie raus!“ Stehend skandierte die gesamte Fraktion seiner Demokratischen Linkspartei: „Raus, raus, raus!“

Anlaß für den Eklat war eine junge Frau, die es wagte, zur konstituierenden Sitzung des türkischen Parlaments am Sonntag abend mit einem Kopftuch den Parlamentssaal zu betreten. „Respektieren Sie die Regeln dieses Hauses. Nehmen Sie das Tuch ab oder gehen Sie hinaus“, rief Ecevit ihr zu, doch Merve Kavakci blieb sitzen und wartete darauf, daß sie aufgerufen wurde.

Die erste Sitzung eines neu gewählten Parlaments besteht in der Türkei darin, daß jede/r Abgeordnete einen Eid auf die Verfassung ablegt. Die Sitzung wurde unterbrochen. Nach dreißig Minuten erschien der Alterspräsident, der die Sitzung leitete, und kündigte eine erneute Essenspause von einer Stunde an. Kurz bevor das hohe Haus wieder zusammentrat,verließ Merve Kavakci das Parlament.

Es war das erste Mal seit der Gründung der türkischen Republik 1923, daß eine Frau es wagte, mit Kopftuch das Parlament zu betreten. Obwohl es in der Kleiderordnung des Parlaments nicht festgelegt ist, ist klar, daß das Verbot der religiösen Kopfbedeckung, die in der Türkei für alle Behörden, Schulen und Universitäten gilt, natürlich auch das Parlament umfaßt. Tagelang war in den Medien diskutiert worden, ob Merve Kavakci es wagen würde, mit Kopftuch zu kommen. Innerhalb der islamistischen Tugendpartei (Fazilet Partisi), zu deren Parlamentsfraktion sie gehört, war der Auftritt umstritten. Die meisten türkischen Blätter mutmaßen, daß Kavakci gegen den Willen des amtierenden Parteichefs Recai Kutan auf Geheiß des alten Chefs, Necmettin Erbakan, die Provokation gewagt hat. Kutan soll dann dafür gesorgt haben, daß sie das Parlament verließ.

Merve Kavakci ist eine Überzeugungstäterin. Die mit 32 Jahren zweitjüngste Abgeordnete stammt aus einer Professorenfamilie, die seit Jahren für die Aufhebung des Kopftuchverbots an den Universitäten kämpft. Um das Kopftuch nicht ablegen zu müssen, hat sie selbst in den USA Informatik studiert. Während einer Pressekonferenz am Montag mittag beklagte sie das mangelnde demokratische Verständnis ihrer Kollegen, die sie gehindert hätten, einen Eid auf die laizistische Verfassung abzulegen. Das sei ungerecht denn: „Auch ich bin ein Kind der Republik.“

Eine weitere kopftuchtragende Abgeordnete der rechtsnationalistischen „Partei der Nationalen Bewegung“ (MHP) hatte auf Geheiß ihrer Parteiführung ihre Kopfbedeckung vor der Sitzung abgenommen. Zur Begründung sagte Parteichef Devlet Bahceli: „Der Staat darf nicht beschädigt werden. Der Staat ist uns heilig.“

Nach dem Auftritt Merve Kavakcis ist klar, daß die Islamisten im kommenden Parlament die Parias darstellen werden. Die rechten Ultras haben dagegen ihre Regierungsfähigkeit demonstriert.

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