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Hommage an den Genossen

Nachts sind die Straßen in Kumrovec genauso dunkel wie in anderen kroatischen Dörfern. Doch im Heimatort von Josip Broz Tito ist dessen Erbe noch immer gegenwärtig  ■   Von Klaus Buchenau

Achtundachtzig rote Ahornbäume säumen die Ortseinfahrt des 300-Seelen-Nests, dazwischen ebenso viele vornehm schlichte, schmiedeeiserne Laternen. Aber irgend jemand hat die Lampen kaputtgeschossen, säuberlich eine nach der anderen. So ist es auf der „Allee der roten Ahornbäume“ nachts genauso dunkel wie auf vielen anderen kroatischen Dorfstraßen auch, und wer sich nach Sonnenuntergang hierher verirrt, ahnt nur wegen der merkwürdig guten Beschilderung, daß dieses Dorf nicht normal ist.

In Kumrovec, das etwa 50 Kilometer nordwestlich von Zagreb an der slowenischen Grenze liegt, wurde im Jahr 1892 Josip Broz geboren, besser bekannt unter seinem Decknamen aus dem kommunistischen Untergrund: Tito. Als der jugoslawische „Präsident auf Lebenszeit“ 1980 mit achtundachtzig Jahren starb, pflanzte man jene roten Ahornbäume, die den Besucher in eleganter Phalanx zu Titos Geburtshaus leiten.

Schon vorher, seit den 50er Jahren, hatte Kumrovec memorialen Charakter gehabt, war ein Wallfahrtsort zu den Ursprüngen des lebenden Halbgottes gewesen, den ein kroatischer Bauer und eine slowenische Bäuerin als siebentes von fünfzehn Kindern gezeugt hatten. Josip Broz hatte Kumrovec schon als Jugendlicher hinter sich gelassen. Mit 15 Jahren war er nach Sisak gegangen, um Schlosser zu werden – eine Aufstiegsmöglichkeit für den Bauernjungen aus Zagorien, wie die hügelige Region nördlich von Zagreb heißt. Und ein Weg in die sozialistische Bewegung, die die endgültige Beseitigung der Armut versprach.

Bald trat er in die Metallarbeitergewerkschaft ein, von dort aus in die Sozialdemokratische Partei, und nach dem Ersten Weltkrieg in die Kommunistische Partei Jugoslawiens. Für einen kommunistischen Verschwörer war in der Bauerngesellschaft Zagoriens kein Platz. 1934, als Broz nach fünfjähriger politischer Haft in sein Dorf fuhr, konnte er die freundliche Aufnahme der Bewohner nicht lange genießen. Der Dorfpriester erklärte den ehemaligen Katholiken zum „Antichristen“.

Broz ging in den Untergrund und nannte sich von nun an Tito. 1937 trieb ihn die Nostalgie noch einmal nach Kumrovec: Diesmal völlig incognito, mit Brille und Bart, steht er in einem Obstgarten nicht weit von seinem Elternhaus, hört den bellenden Hunden zu und philosophiert über die dörfliche Rückständigkeit, an der sich seit seiner Kindheit nichts geändert hat. „Es muß etwas getan werden“, erzählt er dem Schriftsteller Miroslav Krleza am nächsten Tag. „Und es gibt eine Antwort: Industrialisierung! Elektrifizierung!“

Einige Serben behaupteten, Tito sei gebürtiger Wiener

Danach scheint das Band zu Kumrovec schwächer geworden zu sein. Tito, der im Zweiten Weltkrieg zum unumstrittenen Führer der mächtigen Partisanenbewegung aufgestiegen war, fand bald Gefallen am Luxus. Als Staatschef des stolzen, blockfreien Jugoslawien hielt er sich lieber auf den sonnigen Brioni-Inseln als in Zagorje auf. Für den Tito-Kult war Kumrovec trotzdem zu gebrauchen. 1978, als Tito in das Greisenalter und sein Staat in spätkommunistische Bürgerlichkeit eingetreten waren, begann der Aufbau des „Ethno-Dorfs Kumrovec“.

So landete Titos Kindheit im Freilichtmuseum, noch bevor er selbst tot war. Es gibt übrigens Menschen, die am Zagoriertum des Josip Broz zweifeln. Als nach seinem Tod die Nationalismen langsam wieder erwachten, behaupteten manche Serben, Tito sei überhaupt kein slawischer Bauernsohn, sondern ein gebürtiger Wiener, ein Sprößling aus dem Land des Erzfeindes! Kein Wunder sei es also, daß er die Serben gepiesackt habe, wo er nur konnte!

Die Antwort kroatischer Nationalisten folgte prompt: Tito sei gar kein „richtiger“, patriotischer Zagorier, sondern ein williger Vollstrecker des „Serbokommunismus“ gewesen, ein entarteter Sohn des Volkes. Heute, wo nationalistischer Wahn und Krieg Millionen von (Ex-)Jugoslawen arm gemacht haben, sitzt manchen Schreihälsen der 80er Jahre ein Kloß im Hals. Und verschämt erinnert man sich an die schönen Seiten des Lebens unter dem eisernen, eitlen Marschall.

Hier ein Blick in das Gästebuch, das in Titos rustikalem Elternhaus ausliegt: „Genosse Tito! Wir können es kaum erwarten, bis man Sie endlich klonen kann!“ meint Stipe aus Zagreb. „Genosse Tito, als es Dich noch gab, hatten wir alle etwas. Und jetzt haben wir Franjo Tudjman und die Mehrwertssteuer,“ schreibt eine enttäuschte Marija aus Split. Stefan aus Rovinj möchte dagegen den alten wie auch den neuen Despoten gerne auf das Konto des kroatischen Nationalstolzes verbuchen: „Das kroatische Zagorje hat uns in diesem Jahrhundert zwei große Söhne gegeben: Tito und Tudjman!“ Und Lidija aus Sarajevo träumt von der großen Synthese, vom Frieden zwischen Gott und Karl Marx: „Genosse Tito! Wir danken Dir für unsere schöne Kindheit. Möge Dich Gott uns zurückgeben. Dann kannst Du uns alle Werte wiederbringen, die wir nach Deinem Fortgang verloren haben.“

Und so weiter: Seitenlange blumige Huldigungen, ab und zu unterbrochen von seltenen, aber wüsten Beschimpfungen, die eine phantastische Vielfalt südslawischer Flüche offenbaren ... Die Ausstellung, die die Wände der Bauernstube schmückt, hat man nach der Erlangung der Unabhängigkeit mit neuen Texten versehen: Anstatt die großen Taten des Marschalls für alle Völker Jugoslawiens herauszustellen, wird Titos Biographie jetzt daraufhin befragt, was der bekannteste Zagorier aller Zeiten für beziehungsweise gegen die Kroaten getan hat.

Bleiburg 1945, die Massenhinrichtungen an den Resten der Armee des faschistischen Ustascha-Staates, seien ein Verbrechen am kroatischen Volk gewesen, heißt es da. Aber Tito habe auch die Bundesverfassung von 1974 ermöglicht, nach der die Republiken ein Sezessionsrecht gehabt hätten. Und ohne diese Verfassung hätte Kroatien 1991 nicht unabhängig werden können.

Tito war für Frieden, nicht für den Krieg

Bravo, Tito! In der Dorfkneipe schräg gegenüber sitzt an diesem düsteren Tag nur ein Gast – Dalibor, Mitte fünfzig, ein echter Zagorier. Stundenlang sitzt er da, trinkt Bier und schaut trübe in Richtung Fernseher.

Erst als er nach Tito gefragt wird, gerät sein aufgedunsenes Gesicht in Bewegung, und durch den alkoholverschleierten Blick glimmen Wachheit und Intelligenz. „Sprechen Sie Englisch? Ich war in Kenia als Übersetzer für eine jugoslawische Firma, bis das Land zerfiel“, sprudelt es nun in bestem Oxford-Englisch aus ihm hervor. „Das war die glücklichste Zeit meines Lebens. Wait a moment“, er werde gleich zurück sein. Der feiste Wirt nutzt die Pause. „Tito war für den Frieden. Nicht für den Krieg.“ „Und wer war für den Krieg?“ Die kleine Zwischenfrage, versehentlich gestellt in der Belgrader, nicht der Zagreber Variante des Serbokroatischen, bringt den Wirt in Wallung. „Für den Krieg waren die Serben. Wenn hier einer von denen auf der Dorfstraße auftauchen sollte, würde ich ihn umbringen.“

Zum Glück ist es kein Serbe, der in diesem Moment die Schenke betritt, sondern Dalibor. Freudestrahlend streckt er dem Gast ein Buch entgegen: „Josip Broz Tito: The Yugoslav Way“. „Lesen Sie das“, flötet er in seinem fein behauchten Englisch, das nicht mit seiner Alkoholfahne harmoniert. „Und wenn Sie Zeit haben, können wir über Titos Thesen eine intellektuelle Korrespondenz beginnen. Was er schreibt, klingt heute wohl etwas merkwürdig. Aber wenn er noch leben würde, wäre ich vielleicht noch in Afrika.“

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