taz-Serie: Deutschland und der Krieg: Honoratioren feiern – Studenten konferieren: Der Krieg ist fern
■ Deutschland und der Krieg (Teil 1): In Frankfurt (Oder) protestiert nur die PDS, und über die Flüchtlinge denkt allein ein polnischer Student nach. An der Europa-Universität Viadrina geht der „Brand im eigenen Haus“ vor
Im Kosovo herrscht Krieg, Hunderttausende Kosovo-Albaner werden aus ihrer Heimat vertrieben, die Nato wirft seit Wochen täglich Bomben über Jugoslawien ab – und wir? Was machen wir Deutsche? Wir erleben den Krieg jeden Abend vor dem Fernseher. Berührt er uns noch? Verändert er unseren Alltag, unser Leben? taz-Reporter Volker Weidermann ist in den nächsten Wochen überall in der rot-grünen Republik unterwegs und wird in unregelmäßiger Folge über Deutschland und den Krieg berichten.
Der große Brunnenplatz im Zentrum der Stadt ist fast leer. Nur die grünkostümierte Fanfarengarde probt ein Trommelstück. Der zentrale Platz von Frankfurt (Oder) ist ein Parkplatz, umstellt von einem verfallenden Plattenbau und grellgestrichenen Neubauten, die die alte Marienkirche neuerdings verdecken. Ganz am Rand hat die PDS einen Mahnwachenstand aufgestellt. Schon beim Aufbauen flucht eine mittelalte Frau mit Kurzhaarfrisur über „diesen Scheißkrieg“ und daß die Leute sich so schnell daran gewöhnt haben.
So schnell, daß in dieser Woche kaum noch jemand an ihrem kleinen Pult mit den „Bomben-brauchen-keinen-Mut“-Plakaten stehenbleibt. Eine kleingewachsene alte Dame versucht, ein Faltblatt an den Mann zu bringen, „über das sich der Struck so geärgert hat“, weil der Scharping da drin zum erstenmal „Kriegsminister“ genannt wurde. „Da, können Se nachlesen.“ Will aber niemand. Währenddessen marschiert die Fanfarengarde Richtung Oderufer, denn da wird heute ein neues Hörsaalgebäude eingeweiht.
Auf einem kleinen Podest stehen die Honoratioren, prosten sich zu, klopfen den Grundstein fest (“der dritte Schlag auf die deutsch-polnische Freundschaft“) und lassen die grünen Trommler vorbeimarschieren. Dann gibt es Freibier für alle und Freiwürstchen auch. Gute Stimmung unter den Studenten. Arne Meyer-Haake von der Juso-Hochschulgruppe (linkes Foto, rechts) ist allerdings nicht ganz zufrieden. „Die schaffen es nicht mal, 'ne polnische Fahne aufzuhängen“, sagt er und zeigt seine große EU-Flagge, die er während des Festakts neben der deutschen und brandenburgischen aufgestellt hat, um den Mangel wenigstens halbwegs zu verdecken.
Und der Krieg? Arne und sein Juso-Kollege Tim Frericks (linkes Foto, links) überlegen eine Weile. Eine gemeinsame Juso-Position gebe es nicht, obwohl die meisten für den Nato-Einsatz seien. Tim ist alter Ostermaschierer, findet aber die aktuellen Ostermärsche, in denen sich die Pazifisten mit serbischen Nationalisten zusammentun, „völlig bescheuert“. Arne ist gegen die Bombardements, aber eher deshalb, weil die Position sonst in der Juso-Gruppe niemand eingenommen hätte und „die Angriffe ja auch offenbar nichts nützen“.
Matthias Gehrmann (rechtes Foto) vom Asta ist gar nicht erst zum Freibiertrinken gekommen. Er sitzt in seinem Büro zwischen ständig klingelnden Telefonen und organisiert: ein Symposium zum Thema Rechtsradikalismus in Ost- und Westeuropa. Mit zerrauftem Haar läuft er zwischen den Schreibtischen hin und her, bittet Kollegen um Hilfe, wimmelt ab, hält hin. „Nein, zum Krieg läuft hier gar nichts an der Uni. Wenn es hier im eigenen Haus brennt, kann man sich nicht auch noch um die Weltbrände kümmern.“
Der „Brand“ im eigenen Haus, das sind die ständigen rassistischen Übergriffe von Neonazis vor allem auf die Polen in der Stadt. Gehrmann würde sich liebend gern auch um Aktionen zum Krieg bemühen. Er ist Totalverweigerer, hat freiwillig in kroatischen Flüchtlingscamps gearbeitet und ist gegen den Krieg, einfach weil er findet, daß man mit den enormen Finanzmitteln, die man für die Militäraktion ausgibt, viel Wesentlicheres und Sinnvolleres zum Wohl der Flüchtlinge leisten könnte. Außerdem habe der Westen die serbische Opposition im Vorfeld nie wirklich unterstützt.
Einer, der sich trotz Brands im eigenen Haus noch um den „Weltbrand“ kümmert, ist der polnische Jurastudent Kamil Majchrzak. Er ist im vergangenen Jahr selbst zweimal von Skinheads krankenhausreif geschlagen worden. Jetzt kümmert er sich mit einer Gruppe „Kritischer Juristen“ um die rechtliche Situation von Kosovo-Flüchtlingen in Polen, die dort, wie er sagt, quasi rechtlos seien und wie Verbrecher behandelt würden. Er hat Vorschläge für einen neuen Gesetzentwurf ausgearbeitet und steht in Faxkontakt mit dem polnischen Justizministerium.
Das Unigebäude ist schon früh verwaist. Man trinkt noch Bier, drüben am Ufer. Nirgendwo in der Universität kündigt ein Plakat irgendeine Aktion an, einen Protest. Ein Student, der aus Heidelberg zu Besuch gekommen ist, erzählt von Politikseminaren in der Neckarstadt, in denen die Professoren ihren Studenten vorschlagen, in den Kursen statt des normalen Programms über den Krieg zu reden. Bei Abstimmungen sprächen sich dort etwa drei Viertel der Studis dagegen aus. In Frankfurt dagegen wird gar nicht erst abgestimmt. Text und Fotos: Volker Weidermann
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