: Herrn Schilys plötzliche Großzügigkeit
■ Weil der Innenminister für weitere 10.000 Kosovo-Flüchtlinge die Tore nach Deutschland öffnet, handelt er sich Ärger mit Kollegen ein
Nein, von der Spitze des Hauses mag sich heute lieber keiner mehr äußern. Immerhin gilt es, eine ziemlich plötzliche Kehrtwendung des Ministers zu erklären. Am vergangenen Donnerstag hatte Bundesinnenminister Otto Schily (SPD) noch verkündet, es sei „politisch grundfalsch“ und „kein Ausweis besonderer humanitärer Gesinnung“, jetzt weitere Flüchtlinge aus dem Kosovo in Deutschland aufzunehmen. 10.000 Kosovo-Albaner hatte die Regierung bis dahin mit einer gut organisierten Luftbrücke in die Bundesrepublik geholt. Eine Aufstockung dieses „Kontingents“ lehnte Schily ab – „entschieden“, wie es letzte Woche aus seinem Hause hieß. Als des Ministers Stimme am Montag morgen beim Deutschlandfunk über den Äther ging, klangen die Töne ganz anders: „Ich glaube, Deutschland wird nicht damit überfordert, wenn das Kontingent jetzt verdoppelt wird.“ 20.000 statt 10.000 Menschen sollten hier Zuflucht finden.
Der Konter aus den Länderhauptstädten kam prompt und als erstes von Baden-Württembergs Innenminister Thomas Schäuble (CDU): Er lehnte Schilys Vorschlag ab. Sein Amtskollege Günther Beckstein (CSU) aus Bayern baut bereits seit Tagen an Barrikaden gegen einen drohenden „Flüchtlingszustrom“. Unterstützung erhielt Beckstein von seinem Ministerpräsidenten, Edmund Stoiber: „Wenn 10.000 von 13.000 ausgeflogenen Albanern nach Deutschland kommen, ist es mit der humanitären europäischen Solidarität nicht weit her.“ Die Bundesländer fürchten vor allem die finanzielle Belastung durch die Unterbringung der Flüchtlinge.
Am vergangenen Freitag glaubten sich die Hardliner in der Innenministerkonferenz durchgesetzt zu haben. Bei einer telefonischen Schaltkonferenz wurde festgeklopft, für die Aufnahme weiterer Kosovo-Albaner müßten „stets besondere Umstände vorliegen“. Dabei müßten die Gründe, so die wenig einfühlsame Formulierung, „über das allgemeine Vertreibungsschicksal hinausgehen und eine besondere Härte darstellen“.
Daß Schily sich übers Wochenende eines besseren besonnen hat, dürfte an den beiden Gesprächen gelegen haben, die er am Sonntag mit UN-Flüchtlingskommissarin Sadako Ogata und mit dem makedonischen Innenminister Pavle Trajanov führte. Ogata beklagte insbesondere, wie zögerlich die Verteilung der Flüchtlinge aus den makedonischen Lagern auf Drittstaaten vonstatten geht.
Daß Schilys plötzliche Großzügigkeit einige seiner Länderkollegen verärgern würde, war nicht überraschend. „Das muß auch alles immer vermittelt werden“, heißt es etwas kleinlaut von der Leitungsebene des Schily-Ministeriums. Bei den Bundesländern gebe es nicht zuletzt die Befürchtung, mit der Erhöhung des deutschen Kontingents sinke der Zwang für andere EU-Staaten, endlich selbst in größerem Umfang Flüchtlinge aufzunehmen. „Die sagen dann vielleicht, jetzt müssen wir nicht mehr ran.“ Ausschließen kann das auch das Bonner Ministerium nicht. 795.000 Menschen sind nach neuesten Schätzungen des UNHCR seit März geflohen. Angesichts solcher Zahlen dringt man auch in Bonn auf eine EU-weite Lösung. „Die Frage bleibt: Einigt sich Europa?“ Patrik Schwarz
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen