: Mauer des Schweigens
Über die „Schande“, vergewaltigt worden zu sein, können die wenigsten Kosovo-Albanerinnen, die nach Albanien kommen, sprechen. Wie in jedem Krieg und bei jeder Vergewaltigung. Nun gelang es Human Right Watch dennoch, einige Flüchtlingsfrauen zu einer Aussage zu bewegen. Und ihre Berichte werden bestätigt. ■ Aus Kukes Erich Rathfelder
Es sind vor allem Frauen und Kinder, die in diesen Tagen über die Grenzen nach Albanien kommen. Erst in der Nacht zum Montag waren es 1.500. Sie kommen mit verweinten Augen an und erzählen von der Gewalt der serbischen Soldaten, von der Zerstörung ihrer Häuser und der Angst um ihre Männer. Denn die wurden häufig von serbischen Soldaten aus der Kolonne geholt, als sie zur Grenze zogen. Sie befürchten das Schlimmste. In dem Dorf Meja sollen beispielsweise in der letzten Woche 100 bis 300 Männer ermordet worden sein.
Unter den vertriebenen Kosovo-Albanerinnen sind jedoch auch Frauen, die nichts sagen. Die Ärztinnen der Hilfsorganisationen sind achtsam, wenn sie die vorbeiziehenden Flüchtlinge betrachten. Manche Frauen fallen auf, weil sie nur noch vor sich hinstarren und nicht ansprechbar sind – Anzeichen einer tiefsitzenden Traumatisierung. Die Mitarbeiterinnen von Medicin du Monde und anderen Hilfsorganisationen bemühen sich so gut es geht, aber es fehlt an geschultem Personal, um an diese Frauen heranzukommen.
Schon lange Zeit befürchten Frauen- und Menschenrechtsorganisationen, es könnte wie in Bosnien auch im Kosovo zu einer Welle von Vergewaltigungen kommen. Die Nachrichten darüber aber fließen spärlich. Denn obwohl sich schon seit Jahren bei Menschenrechtlern der Verdacht erhärtet hatte, daß serbische Polizisten albanische Frauen vergewaltigten, verhinderte eine Mauer des Schweigens in der kosovo-albanischen Gesellschaft, Beweise dafür zu sammeln.
Ohnehin ist es schwierig für die Opfer, über durchlittene Erlebnisse zu sprechen. Dazu kommt die albanische Familientradition: Die „Schande“ darf nicht öffentlich werden. Diese Haltung, so beklagten die Frauen- und Menschenrechtsaktivisten, erschwere es, den betroffenen Frauen zu helfen.
Erstmals brachen jetzt mehrere Frauen in der albanischen Stadt Kukes das Schweigen. Gegenüber Human Rights Watch sagten zwei Kosovarinnen aus dem Dorf Dragacin bei Suva Reka aus, deren Berichte von acht anderen Frauen bestätigt wurden. Nachdem die serbische Armee sich am 21. April anschickte, das Dorf zu umzingeln, seien die meisten Männer im wehrfähigen Alter, die um ihr Leben fürchten mußten, in die Wälder geflohen.
Die Frauen und Kinder sowie elf ältere Männer hätten sich auf einem Feld versammelt, wo sie von den serbischen Uniformierten gestellt worden seien. Die älteren Männer seien zur Seite geführt worden. Schüsse habe man hören können. Keiner der Männer tauchte später irgendwo auf.
Die serbischen Soldaten hätten die Frauen und Kinder in drei Privathäuser gebracht und dort drei Tage lang festgehalten. Ein Polizist, so berichtete ein Opfer, legte das Messer an den Hals eines dreijährigen Kindes und verlangte Geld. Einige von ihnen hätten für die Serben kochen und die Wäsche waschen müssen. Andere wurden aus der Gruppe herausgeholt, mißhandelt, gedemütigt und vergewaltigt.
Eines Nachmittags, so erzählt eine der Frauen, sei ein Uniformierter gekommen und habe sie zum Mitgehen gezwungen. Er führte sie in ein anderes Haus und vergewaltigte sie. Am nächsten Tag kam er wieder. Er führte sie in ein drittes Haus, wo schon einige Soldaten warteten. Sie forderten sie auf, ihre Kleider auszuziehen. Nach einigen demütigenden Bemerkungen wurde sie mit dem Kommandeur und einem weiteren Offizier allein gelassen.
Der Offizier lag nackt auf dem Bett und griff nach ihr. „Ich weinte und weinte und stieß seine Hände weg“, sagte die Frau aus. „Letztlich sagte er zu mir, daß er mir nichts tun wird. Der Kommandeur starrte uns nur an.“ Später mußte sie der Mannschaft nackt Kaffee servieren. Dann wurde sie zu den anderen Frauen zurückgeschickt.
Eine zweite Frau berichtete ebenfalls, in ein anderes Haus geführt worden zu sein. Sie sei dann von fünf Männern betrachtet und schließlich von dem fünften vergewaltigt worden.
Einige andere Frauen berichteten über ähnliche Vorfälle, eine von ihnen sogar vor der Kamera der BBC. Doch die meisten aus der Gruppe der 300 weigern sich nach wie vor zu sprechen.
In einzelnen Gebieten und Dörfern ist den Frauen außer dem Schrecken, der Angst, dem Verlust des Besitzes, nichts weiter geschehen, meinen Mitarbeiter der Hilfsorganisationen. Es kam jeweils darauf an, welche Truppen die Aktion dominierten, bei regulären Polizeikräften seien die Übergriffe seltener gewesen als bei jenen Formationen, bei denen auch Freischärler aktiv waren.
Angesichts der Flüchtlingsmassen in Albanien und Makedonien ist es für die MitarbeiterInnen der Hilfsorganisationen sehr schwierig, individuell auf die Betroffenen einzugehen. Dies gelte für alle Traumatisierten; viele Kinder ebenso jedoch auch Männer können aus eigener Kraft und ohne fachkundige Hilfe den Schock der Vertreibung nicht überwinden. Hunderte von Kindern sind von den Eltern getrennt, manche von ihnen mußten zusehen, wie sie getötet wurden.
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