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Keine 180-Grad-Wende mit rot-grün an der Regierung

■ Die grüne Spitzenkandidatin Helga Trüpel verspricht bei ihrer Bilanz zu vier Jahren großer Koalition „Kurskorrekturen“ und neue „Akzentsetzungen“ im Falle einer neuen rot-grünen Bremer Regierung

Kaum hatte die Grüne Helga Trüpel zur Rede angesetzt, spielte draußen auch schon das „Heeresmusikcorps I“ aus Hannover auf – pünktlich zum Europatag und zur Koalitionsbilanz der grünen Spitzenkandidation im Haus der Bürgerschaft. Wenig später sprach noch der geladene Ex-Außenminster Klaus Kinkel zum Volk. Sein Thema: das rot-grüne Krisenthema „Kosovo“.

In Zimmer 3 der Bürgerschaft dagegen „business as usual“: Die grüne Spitzenkandidatin Helga Trüpel äußert sich zur Frage „Große Koalition – große Fortschritte?“. Vor zwei Wochen noch hatte die grüne Bremer Mitgliederversammlung über rot-grüne Außenpolitik statt über die grünen Inhalte des Bremer Wahlprogramms gestritten. Gestern ging Trüpel nun zur Tagesordnung über – und mobilisierte mit Bremer Themen für die Bürgerschaftswahl.

Denn das Land habe eine „gezielte Kurskorrektur“ dringend nötig: Regierungschef Henning Scherf habe Bremen zum „Land des Lächelns gemacht“, kritisierte Trüpel. Die Koalition habe es zwar „sehr gut verstanden, eine relativ gute Stimmung in der Stadt zu suggerieren“. Das entspreche aber nicht der „tatsächlichen Lage“: Trotz angekündigter Sanierung hätte Bremen immer noch 17 Milliarden Mark Schulden, 6.000 Einwohner weniger und 10.000 Arbeitslose mehr.

Bis zuletzt werde „das Geld mit vollen Händen ausgegeben und alles nur über Kredite“. Gerade heute stünden in den Wirtschaftsförderausschüssen noch Kreditermächtigungen zur Debatte – darunter allein 86 Millionen Mark für die Infrastruktur der Daewoo-Ansiedlung. Für den Ausbau des Containterterminals IIIa wurden unlängst 440 Millionen Mark abgesegnet. Geplante Abdeckung: erst in den Jahren 2003 bis 2042. „Spätestens ab 2010 steht Bremen durch diese ganzen Abfinanzierungen vor dem Zusammenbruch“, prophezeite Trüpel die „strangulierten Handlungsmöglichkeiten nachfolgender Regierungen“.

Da gelte es umzusteuern – mit einer SPD, „die dafür den politischen Willen hat“, sagte Trüpel zum Scherfschen rot-schwarz-Kurs, „das sehen wir dann am Wahlabend“. Aber „Rot-Grün wird das Ruder nicht um 180 Grad herumreißen“, kündigte sie vorab lediglich „neue Akzentsetzungen“ an. So wolle man „sparen, gezielt investieren und Schulden tilgen“ – und nicht mehr so stark auf Großprojekte setzen. Statt dessen soll viel mehr Geld in Mittelstand und Existenzgründungen fließen. Viele kleinere Technologieparks und neue Ansiedlungen auf bestehenden Gewerbeflächen statt auf der grünen Wiese seien angedacht.

Im Klartext: Teile des „Ocean Parks“ sollten durchaus realisiert werden. „Der Fehler war nur, daß man auf einen einzigen Investor gesetzt hat“, erklärte sie zur Frage nach Alternativen für Bremerhaven. Mehr Korrekturbedarf sieht sie da eher noch beim Hafen und in den Schulen: Die Hafenreviere sollten zu einem neuen Stadtteil entwickelt werden, und mehr neue LehrerInnen durch einen Solidarpakt an die Schulen gehen.

Ansonsten läuft wohl alles soweit prima in der Stadt – außer Kritik an ein paar fehlenden Kitaplätzen sind die Grünen offenbar zufrieden mit der Sozialpolitik von SPD-Senatorin Tine Wischer (SPD) – und nur ein wenig unzufrieden mit SPD-Arbeitssenator Uwe Beckmeyer („zu wenig qualifizierte Arbeitsplätze in Call Centern“). Und in der Kultur wurden ja fast alle Projekte aus der Ampel-koalition umgesetzt, empfahl sich die Ex-Kultursenatorin Helga Trüpel. Aber ihren Wunschplatz im rot-grünen Senat verriet sie trotzdem nicht: „Das Fell wird erst verteilt, wenn der Bär erlegt ist.“ kat

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