Mit Yoko Ono in der Wüste von Texas

■ Lautstarke Vergangenheitsbewältigung: Die Tribal-Metaller Soulfly spielen im SO 36

Spätestens seit John Lennon die Beatles verließ, weiß die ganze Welt, daß Bandsplits oft mit viel Herzschmerz verbunden sind. Daß das allerdings bei Metal-Bands mindestens genauso rührselig ablaufen kann, das weiß man erst, seit die brasilianische Death-Doom-Tribal-Institution Sepultura ihren Sänger und Gründer Max Cavalera rauswarf.

Oder war es etwa umgekehrt? Denn wie immer bei solchen Auseinandersetzungen gab es auch hier zwei Seiten mit zwei unterschiedlichen Versionen einer Geschichte voller Neid und Mißgunst, Intrigen und Lügen, hintergangener Solidarität und enttäuschter Freundschaft. All das gipfelte in einer von Max Cavalera entworfenen Verschwörungstheorie, nach der die anderen, darunter auch sein Bruder Igor, von falschen Freunden dazu angestiftet wurden, „die Band zu zerstören“. Zusätzliches tragisches Element der Geschichte, die in den einschlägigen Metal-Magazinen süchtig wie eine Seifenoper verfolgt wurde: der Tod von Cavaleras Stiefsohn Dana bei einem Autounfall. So oder so, den Part von Yoko Ono übernimmt in jeder Inszenierung der Geschichte Gloria Cavalera, die Frau von Max, Mutter von Dana und ehemalige Managerin von Sepultura.

Sepultura haben längst einen neuen Sänger und nun endlich richtig viel Metal im Angebot, aber seine alte Band ist für Max Cavalera eh nur noch „Möchtegern-Sepultura“. Trotzdem dauerte es fast zwei Jahre, bis „das öffentliche Interesse nachließ“, so Cavalera, „bis sich die Leute für andere streitende Brüder wie bei Oasis interessierten“.

Fast zwei Jahre brauchte auch er selbst, um mit dem Wodka zum Frühstück aufzuhören und mit einer neuen Band die Alternative auf die Beine zu stellen. Die Rache fand gleich im ersten Song der ersten Platte von Soulfly statt. „An Eye For An Eye“ zählte die Ex-Kollegen ganz im Sinne des alttestamentarischen Songtitels aus. Damit war dieses Thema dann zwar erledigt, aber die Vergangenheitsbewältigung noch lange nicht: Ansonsten drehte sich das Album vor allem um den Tod des Stiefsohnes.

Die Cavaleras leben inzwischen mitten in der Wüste von Arizona, wo schon Generationen von amerikanischen Indie-Rockern nach Inspiration suchten, aber musikalisch widmen sich Soulfly trotzdem trotzig weiter exakt der Sparte, die sich schon Sepultura selbst gezimmert hatten, dem Crossover zwischen eher härter gelagerten Metal-Genres und tribalistischen Elementen ihrer brasilianischen Heimat.

Neben übel stampfenden Hardcore-Anfällen, die so stumpf herüberkommen, daß sie schon wieder gut sind, spielen Soulfly eben auch die gewohnten Tribal-Nummern wie „Quilombo“, bei denen sich Gitarren und hypnotisches Getrommel unsicher und ein wenig tapsig in die Arme schließen. Aber Cavalera geht weiter, als es Sepultura jemals gewagt haben: In Songs wie „Bumba“, einer Art Heavy-Dub, hört Cavalera nicht nur endlich mal mit dem dauernden Geschreie auf, sondern versucht zu toasten. Auch lädt er sich mittlerweile Rapper zu den Aufnahmen ein oder experimentiert erstmals mit Samples. Und hin und wieder pluckern die Rhythmen so ausgefeilt, als hätten sie tatsächlich schon mal was von Drum & Bass gehört.

Zudem scheint sich Cavalera nicht mehr ganz so erst zu nehmen wie noch zu Sepultura-Zeiten, als er schon mal den Kampf der brasilianischen Ureinwohner zum letzten Gefecht gegen das Großkapital stilisierte. Mit reichlich neugewonnener Selbsterkenntnis im Sinn heißt ein Song in Anspielung an Led Zeppelin „The Song Remains Insane“.

Thomas Winkler

Mit Hassmütz und Drecksau (was für Bandnamen!) heute ab 21 Uhr im SO 36, Oranienstraße 190, Kreuzberg