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Provinz international

Von GIs die Technik, aus Stuttgart das Feeling: Die Fantastischen Vier sind Unternehmer in Sachen HipHop. Ihr Modell ist erfolgreich, weil es ausschließlich von dem handelt, was sie sind, wollen und geil finden  ■   Von Heike Blümner

Die Sache ist ganz einfach: Bei „Die da“ fanden die Fantastischen Vier alle peinlich. „Sie ist weg“ machte schon Spaß, und pünktlich zur neuen Single „MfG“ gehören sie quasi zur Familie. Liebe Teenies, Twens und Thirtysomethings, Baggy-Kids, Hipster und Besserwisser, dürfen wir vorstellen: Eure „Fantas“, die großen coolen Brüder des deutschen HipHop, äh ... des gelungenen deutschsprachigen Pop mit HipHop-Einschlag.

Zehn Jahre dauert der Erfolg schon an. Nach vierjähriger musikalischer und personeller Zerstreuung kommt jetzt mit „4:99“ das neue Album – und obendrauf die offizielle Fantastische-Vier-Biographie, selbst erzählt, aber aufgeschrieben von Ralf „Ex-Spex, jetzt PopKomm“ Niemczyk. Niemczyk, der sicherlich auch dieses Gestern-fand-ich-sie-noch-doof-heute-gehen-sie-schon-in-Ordnung-Feeling mit sich herumträgt.

Die letzte Besatzermusik

Bevor jetzt jemand sagt, daß die Fantastischen Vier „eine der umstrittensten Bands des deutschen HipHop“ sind oder waren, sei lieber geschrieben, daß es eher der „deutsche HipHop“ war, der über Jahre vermintes Terrain war, das von heute aus betrachtet ein wenig seltsam aussieht. Heute, da auch der grüblerischste Mensch lässig zu allem mitgroovt , was einen Beat und einen deutschen Text hat. Heute, da Glaubens- und Verteilungskämpfe eher auf dem Gebiet „carhartt“ oder „Dickies“ ausgefochten werden.

Wie immer war früher alles ganz anders. Denn zunächst war HipHop Mitte der achtziger Jahre noch das aufregende Geheimnis, das der U.S.-Army-DJ Master Rob den Kumpels Smudo und Andy um die Ohren ballerte. Dort, wo aufgebrezelte GIs sich mit ihren Freundinnen vergnügten, war HipHop, als New-York-Export oder „letzte Besatzermusik“, so der Titel der Fanta-Biographie, in Deutschland angekommen. Und hier funktionierte das Ganze genauso wie dort, nämlich als Party, Party, Party.

Wer's nicht glaubt und im HipHop eine Art genre-immanente „natürliche“ Dissidenz sucht, braucht nur bei der soeben erschienenen Wiederauflage des Gesamt-Outputs der Sugarhill Gang, der ersten kommerziell erfolgreichen HipHop-Combo, nachzuhören. Die Themenschwerpunkte darauf rangieren von „Wie cool man ist“ bis zu „Wie cool man die Party rockt“. Allerdings unterlegt von einem Sound, der damals durchaus als ästhetische Dissidenz durchging. Und wenn das in Schwaben nur hieß, mit ein paar HipHop-Platten die Tanzschulenparty zu sprengen und damit den Vamos-a-la-playa-Hype in die Tonne zu treten.

Zur Interpretation freigegeben

Ja, so fing wohl alles an: Der erste DJ-Gig, der erste Computer, der erste Track, der erste Reim, der erste Joint, und dann irgendwann, was für ein Glück, der erste Plattenvertrag. Zahlreiche, manchmal zähe Anekdoten sammeln sich in „Die letzte Besatzermusik“. So war es wirklich, von denen erzählt, die garantiert immer dabei waren: Andy, Thomas, Michi und Smudo.

Die Sache mit der Mythenrekonstruktion im Do-it-yourself-Verfahren klingt nach der Art Oral History, die über die Jahre bestimmt immer wieder durchs Hinaufbeschwören in trunkenen und sonstwelchen Nächten am Leben gehalten wurde: damals, als wir da und da das und das machten. Nur, daß sie in Buchform zum Glück unanstrengender zu konsumieren ist, weil sie von Autor Niemczyk abgemixt wurde, der sich aber ansonsten nicht zu erkennen gibt. Doch hinter dem sentimentalen Weißt-du-noch und dem großen Wir-erzählen-selbst-was-abgeht findet sich auch noch etwas über den Weg und den Willen von vier Stuttgartern, zur kommerziell erfolgreichsten deutschen HipHop-Band zu werden. „Die letzte Besatzermusik“ ist das Tool, mit dem die Fantastischen Vier und die erste Dekade des deutschen HipHop offiziell zur Rundum-Interpretation freigegeben werden.

Boygroup für Boys und Girls

Eine verschwörerische These: Die Fantastischen Vier heißen nicht umsonst so. Vier Konstanten verbinden sich bei ihnen zum erfolgreichen Ganzen. Als erstes wäre da ihre schwäbische Mittelklasseherkunft, sozusagen BRD-Ursuppe. Zweitens dieses Unter-Jungs-sein-Müssen, um zu kreativen Höchstleistungen aufzulaufen. Drittens der feste Wille zum Spaß (hier ist auch Frauen-Partizipation möglich). Und viertens ein Gespür für gute, eingängige Tracks und Samples. Punkt eins und zwei sind der perfekte Nährboden für Punkt drei und vier.

Der Schlüssel zum Erfolg der Fantastischen Vier liegt in ihrer perfekten Mischung aus identitätsstiftender Provinzialität, die sich in vielen ihrer Reime niederschlägt, und einem für Deutschland vergleichsweise ungewöhnlichen musikalischen Internationalismus. Mit dieser Mischung sind sie eine der wenigen Boygroups für Boys und Girls. Die Boys, vor allem die jüngeren unter ihnen, können sie ganz einfach als Vorbilder nehmen. Schließlich kann jeder Mittelstufenschüler des örtlichen Vorstadtgymnasiums nachfühlen, daß abhängen, sein Ding durchziehen, kiffen, Autos, Anlagen und Computer zu besitzen und sich ab und zu mal zu verknallen die Sache mit der Pubertät ein wenig leichter macht. Denn einerseits läßt sie sich so vergleichsweise angenehm übertünchen, und andererseits kann man sie mit dem Festhalten an derlei Interessen bis in die Dreißiger bewahren, vielleicht sogar länger. Die Fantastischen Vier machen das Forever-young-Sein so plausibel.

Für die Mädchen ist das nicht ganz so einfach, denn für ihre Sicht der Dinge ist in Fanta-World kein Platz. Aber sie tauchen bei jedem neuen Album wieder auf: als Freundin, die wahlweise begehrt, anhimmelt, verläßt, wenn ihr Typ zuviel fremdgeht, oder verlassen wird, wenn sie nervt. Aber, und da muß man sich gar nichts vormachen, viele Mädchen sind gerne Freundinnen oder besser noch das Mädchen Nummer eins von repräsentativen Jungs. Deswegen klappt's auch mit den Girls.

Die Fantastischen Vier sind HipHop, aber authentischer als jede Rockband, weil sie einfach nur das reflektieren, was sie sind, wollen und geil finden. Und so hört sich das eben an, ob solo oder zusammen, wenn vier behütete Jungs Musik machen. Deshalb hielten sie von Anfang die Scheiße real, egal, was man den Texten auf die Dauer abgewinnen kann. Der Wille zum Erfolg und der Versuch, „eine genuin schwarze Ami-Musik auf hiesige Verhältnisse umzumünzen“ (Smudo), ist das eigentlich Interessante an ihnen. Denn mit diesem Unterfangen wurde man Anfang der Neunziger in der HipHop-Szene, die für die interne Credibility so wichtig ist, höchstens mit spitzen Fingern angefaßt. Daß das die Fantastischen Vier gewurmt hat, läßt sich auch auf jedem neuen Album nachhören. Ein Track mindestens richtet sich immer an die Nervensägen und „Oberstübchenhocker“ von damals, die ihnen unlängst noch den Ausverkauf vorwarfen, aber heute in der Belanglosigkeit versunken sind. Und tatsächlich klingt der Zwang zum „richtigen“ politischen Bewußtsein, das auf den holprigen Beat gelegt wird, im nachhinein nicht besonders geschmeidig. Und die Art und Weise, wie versucht wurde, Public Enemy auf Gütersloh umzumünzen, ist lustig. Andererseits muß man dieses Ummünzen auch im Kontext seiner Zeit sehen, als es an allen Ecken und Enden hoyerswerdate und rostockte. Vielleicht hörten sich die Fantastischen Vier schon damals besser an, vielleicht waren sie sogar „realer“. Trotzdem haben sie sich bis heute nicht mit Engagement bekleckert.

Ruhm, Spaß, Geld, Golf GTI

Aber das Problem ist nicht, daß die Fantastischen Vier die Party machen und dabei die Politik vergessen, sondern das Problem ist, daß die anderen Politik machen wollen und dabei wichtige Party-Aspekte wie Abfahrt und Stylishness vergessen. Erst durch den neuen Erfolg von Absolute Beginner oder auch Freundeskreis, übrigens vom Fantastische-Vier-Label Four Music, gehen diese beiden sich bisher abstoßenden Pole zusammen. An dieser Entwicklung haben die Fantastischen Vier aber genausoviel Anteil wie die Awareness-HipHop-Szene.

Und was heißt das jetzt fürs neue Album „4:99“? Nichts, denn das klingt so wie immer: gute Beats und ein feines Popgespür mit Reimen, die ein bißchen zu sehr in der Spaß- und Originalitätszwangsjacke stecken. Dem mittdreißiger Golf-GTI-Fahrer, der draußen mit dröhnenden Boxen seine Runden dreht, gefällt's, meinem achtzehnjährigen Bruder, der gerade Abi macht, auch. Die vier Jungs aus Stuttgart, die nie so ganz stylish waren und immer haarscharf am Hipstertum vorbeigeschlittert sind, obwohl sie auf ihrem Gebiet tatsächlich Vorreiter waren, sind mit „4:99“ voll zeitgemäß in den späten Neunzigern angekommen. Sie haben es so gewollt. Sie haben es so bekommen: den Ruhm, das Geld, den Spaß, die Firma und das Buch zur Band. Dann klappt's auch mit den Fans.

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