: Ein kurzes Zucken in Kriegszeiten
■ Durch die Nato-Angriffe ist die schwache serbische Opposition noch mehr ins Abseits geraten. Regimekritische Bürger fühlen sich von ihren einstigen Idolen betrogen
Wacht die serbische Opposition auf? Oder hat sie sich neulich anstandshalber zu Wort gemeldet, einfach um ein Lebenszeichen von sich zu geben und nicht ganz in Vergessenheit zu geraten?
„Ein Kompromiß ist möglich, und politische Veränderungen in Serbien sind eine Bedingung dafür“, äußerte sich der kleine, einflußlose „Bürgerbund“ zur Krise im Kosovo und dem Krieg mit der Nato. Nur fand diese im Kriegszustand mutige Erklärung keinen Platz in den gleichgeschalteten Medien und erweckte daher nur Aufsehen außerhalb des Landes.
Mit ähnlichem Resultat versuchen auch einige andere Oppositionsparteien, ab und zu auf sich aufmerksam zu machen, wie die vom Ex-General Vuk Obradovic angeführte Sozialdemokratische Partei, die sich für die Stationierung von UN-Friedenstruppen im Kosovo einsetzt. Seitdem am 25. März der Kriegszustand in Jugoslawien verhängt worden ist, ist jedoch die serbische Opposition von der politischen Bildfläche verschwunden.
Deren Geschichte ist ohnehin traurig. Sie ist erfüllt von Niederlagen, Enttäuschungen und Frustrationen, gekennzeichnet von ewigem Gezänk, nie eingehaltenen Versprechen und leichtfertig verspielten „historischen“ Gelegenheiten, die Macht zu ergreifen.
Die Geschichte der oppositionell denkenden serbischen Bürger ist dagegen tragisch. Sie fühlen sich von den Oppositionsführern, die sie ein Jahrzehnt gewählt, für die sie demonstriert und gefroren haben, für die sie von der Polizei verprügelt und schikaniert wurden, verraten und mißbraucht.
Noch bevor die Nato die Luftangriffe startete, war das bürgerliche Serbien in einen hoffnungslos apathischen Zustand verfallen. Das erste auf Serbien abgefeuerte Nato-Projektil hat vorerst jedes kritische Wort erstickt.
Die großen, bekannten serbischen Oppositionsparteien haben längst ihre Glaubwürdigkeit verspielt. Vuk Drakovic, Vorsitzender der Serbischen Erneuerungsbewegung, erklärte Anfang der Neunziger, ergriffen von der nationalistischen Euphorie, er werde „eine jede Hand abhacken, die eine Fahne mit dem (muslimischen) Halbmond trägt“. Danach setzte er sich für den Frieden in Bosnien und die Beschützung der Bosniaken ein.
Drakovic organisierte Massenproteste gegen den früher serbischen, heute jugoslawischen Präsidenten Slobodan Miloevic, den er den „Blutsauger des serbischen Volkes nannte“, wurde von der Polizei halb totgeprügelt, saß im Gefängnis, um später das Amt des jugoslawischen Vizeministerpräsidenten anzunehmen.
Zoran Djindjic, im Westen als der Hoffnungsträger für demokratische Veränderungen in Serbien betrachtet, entschloß sich 1997, die Parlaments- und Präsidentschaftswahlen in Serbien zu boykottieren, und verurteilte seine Demokratische Partei zu politischer Abstinenz und Isolation. Dies nicht zuletzt deshalb, weil der eigentlich prowestlich orientierte Politiker innenpolitisch nur allzuoft auf die serbisch-nationalistische Karte setzte. „In der Politik muß man pragmatisch denken“, erklärte er. Doch seine Wähler, hauptsächlich aus der Bürgerschicht und jüngere Menschen, wurden seiner andauernden Kurswechsel allmählich überdrüssig.
Neu in der serbischen Oppositionsszene ist der ehemalige Bürgermeister Belgrads, Nebojsa Covic. Er widersetzte sich Ende 1996 Miloevic, der die Resultate der serbischen Kommunalwahlen fälschte, was die größten Massendemonstrationen in Serbien auslöste, wurde von den Miloevic-Sozialisten verbannt und gründete die Demokratische Alternative. „Die Opposition hatte keinen Einfluß auf dieses Kriegsabenteuer. Sie warnte jedoch davor, daß der Kriegszustand die demokratische Opposition auslöschen würde. Derzeit ist die Opposition völlig einflußlos, ihr Einfluß könnte jedoch entscheidend sein, wenn die internationale Gemeinschaft endlich einsieht, daß die Opposition, und nicht Slobodan Miloevic, ihr Ansprechpartner sein sollte“, sagte Covic zur taz.
Alles, was die serbische Opposition im Moment tun könne, ist, sich vor der vollkommenen Vernichtung zu bewahren, vor „arroganten und repressiven“ Parteien, die alle Machtinstrumente in der Hand hielten. Er sei für die Stationierung von UN-Truppen im Kosovo. Die UN müßte jedoch garantieren, daß die Souveränität und territoriale Integrität Serbiens und Jugoslawiens erhalten werde und sie die demokratischen Veränderungen in Serbien unterstützt. Nur so könnte der Frieden langfristig etabliert werden. Andrej Ivanji, Belgrad
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