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■ Die Toten von Racak und Djakovica – Bilder und Wahrheit

In ihrer Ausgabe vom 30. April 1998 veröffentlichte die taz auf Seite 4 drei Aufnahmen von getöteten Kosovo-Albanern. Die Fotos stammen von dem dänischen Fotografen Christian Joergensen, der sie von einem Video machte. Das Band war ihm kurz zuvor in Makedonien zugespielt worden – verbunden mit dem Hinweis, dabei handle es sich um Aufnahmen von 15 Kosovo-Albanern, die serbische Sicherheitskräfte Anfang des Monats in der Ortschaft Djakovica bei einer Vertreibungsoffensive getötet haben sollen.

Nach Erhalt des Videos recherchierte Joergensen mehrere Tage lang mit Hilfe zweier Albaner, um den Wahrheitsgehalt des Videos zu überprüfen. Die Informationen schienen sich zu erhärten, zumal Joergensen noch ein Brief und eine Liste mit den Namen einiger der Opfer von Djakovica übergeben wurden. Doch Zweifel blieben – sowohl bei Joergensen selbst als auch in der Redaktion der taz. Dennoch entschied sich die Redaktion, die Bilder zu veröffentlichen – mit der Schilderung dieser Unsicherheit. Ausschlaggebend für diese Entscheidung war das Gefühl der Verpflichtung, die Öffentlichkeit über die Geschehnisse im Kosovo, das für die Berichterstattung derzeit ein großes schwarzes Loch ist, zu unterrichten. Dies gilt besonders dann, wenn, wie im Fall Kosovo, nur Aussagen von Flüchtlingen vorhanden sind. Da Journalisten der Zugang ins Kosovo in der Regel versperrt ist, besteht keine Möglichkeit, durch eine Recherche Sachverhalte zweifelsfrei zu klären.

Einen Tag nachVeröffentlichung in der taz meldete sich ein Leser. Er wies darauf hin, daß der Spiegel in seiner Nummer 13 vom 29. März dieses Jahres ein Foto von ermordeten Kosovo-Albanern in Racak veröffentlicht hatte, das große Ähnlichkeiten (Lage der Leichen, Kleidung) mit einem der Fotos von Joergensen aufweist [vgl die Fotos von Joergensen (unten) und dpa (oben)]. Recherchen der taz ergaben, daß die Aufnahmen von Joergensen mit großer Wahrscheinlichkeit tatsächlich die Opfer von Racak zeigen. Dort sollen am 15. Januar 1999 45 Albaner von Serben ermordet worden sein. Untersuchungen eines finnischen Gerichtsmedizinerteams hatten ergeben, daß die Opfer – anders als von den Serben behauptet – in ihrer Mehrheit mitnichten Kämpfer der Befreiungsarmee des Kosovo (UÇK) waren.

Dadurch wird die Beschuldigung gegen serbische Einheiten wegen Massentötungen in Djakovica nicht hinfällig. Erst vorgestern berichteten wieder Flüchtlinge aus Djakovica dem UN-Flüchtlingswerk UNHCR von grausamen Vorkommnissen. Die Organisation geht davon aus, daß seit Anfang April in Djakovica die schlimmsten Verbrechen im Kosovo seit Ausbruch der bewaffneten Auseinandersetzungen verübt worden sind. bo

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