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Dichter gegen Krieg

■ Der deutsche PEN-Club ringt sich beim Bremer Kongreß doch zu einer Erklärung in Sachen Kosovo-Krieg durch und fordert von beiden Seiten das Ende der Kämpfe

Es ist mal wieder Kongreßzeit im Bremer Rathaus, und vor der oberen Halle steht ein Büchertisch. Nach eigenem Ermessen können die Teilnehmer modernes Antiquariat erwerben, und nie hatte ein Büchertisch so viel Symbolkraft wie hier. „Die DDR entdecken“ heißt ein Buch, „Nichts bleibt wie es ist“ heißt ein anderes, und ein drittes stellt den „Unbekannten Nachbarn Jugoslawien“ vor. Das muß wohl jemand arrangiert haben, denn drinnen im Saal hält der vereinigte deutsche PEN-Club seine Jahresversammlung ab. Und die rund 160 Teilnehmer fürchten sich laut vor dem absehbaren Ende der Buchpreisbindung und streiten sich lang, aber verdächtig leise über eine Resolution zum Kosovo-Krieg.

Ungezählte JournalistInnen haben den Vorsitzenden der über 670 deutschsprachigen PEN-Club-Mitglieder, Christoph Hein, in alle Fallen der Fragetechnik gelockt. Doch der Schriftsteller hat erfolgreich widerstanden. Im Namen der jahrelang tief zerstrittenen und erst im letzten Jahr zusammengelegten PEN-Clubs Ost und West wollte Hein keine Aussage machen. Und er machte sie auch nicht, als die Feuilletons auf dem Schweigen der Intellektuellen und Schriftsteller herumzudreschen begannen. Jetzt, im Bremer Rathaus, loben ihn einige Redner dafür. Doch jetzt wünscht er sich eine einstimmige Resolution: „Eine Mehrheitsentscheidung würde den PEN schädigen.“ Doch die Versammlung hört nicht auf ihn.

In einer langen Diskussion zeigt sich, wie sehr die Meinungen auseinander liegen. Doch kaum einer redet richtig engagiert, als fürchten die Autoren, daß alte Narben wieder aufreißen und ein Familienkrach losbricht. Da werden Verschwörungstheorien bemüht, Ausflüge in die Geschichte bis zurück in die Antike gemacht und Appelle ausgegeben, die von den meisten Flüchtlingen erreichten Länder Mazedonien und die jugoslawische Teilrepublik Montenegro nicht aus dem Blick zu verlieren. „Die Flüchtlingszahl in Mazedonien entspricht auf unser Land hochgerechnet einer Zahl von acht Millionen Menschen“, so Freimut Duve. Der gerade aus Skopje zurückgekehrte Verleger und Ex-SPD-Bundestagsabgeordnete kündigt an, die Menschen in den Flüchtlingslagern so schnell wie möglich mit Literatur zu versorgen. Lob auch dafür. Indes: Daß Situation auf dem Balkan „kompliziert“ ist, bleibt zunächst der einzige Minimalkonsens.

Nach Stunden kommt dann doch der von Hein nicht gewünschte Mehrheitsentscheid zustande. Mit 66 Stimmen bei 14 Gegenstimmen und sechs Enthaltungen fordern die im Saal gebliebenen PEN-Mitglieder ein Moratorium des NATO-Bombardements und ein Ende von Vertreibungen und Kampfhandlungen im Kosovo. Auf Anregung der Bremer Literaturpreisträgerin Brigitte Oleschinski wird die Bildung einer internationalen Arbeitsgruppe von Schriftstellern vorgeschlagen, die ein Zukunfts- und Friedenskonzept für den Balkan erarbeiten soll.

Vor der Entschließung hatten Schriftsteller aus dem Balkan auf Einladung des PEN über ihre Eindrücke von der Lage im Kosovo geschildert. Sie kritisierten dabei die serbische Politik der Gewalt und Vertreibung. Schuldig an der „Katastrophe in biblischem Ausmaß“ sei jedoch nicht das Volk, sondern die Spitzen der Regierung in Belgrad, sagt der albanische Lyriker Ali Podrinja: „Ein Schweigen der Schriftsteller wäre das Ende von Moral, Brüderlichkeit und Humanismus.“ ck/dpa

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