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Einstürzende Nestgefühle

■ Volker Braun war und ist Utopist. Standhaft verschließt er sich den Verlockungen der postmodernen Konsumgesellschaft. Eine Veranstaltung zu seinem 60. Geburtstag

„Dies ist ein guter Ort, deinen Geburtstag zu feiern“, sagt Frank Hörnigk zu Volker Braun. Tatsächlich könnte es keinen besseren Platz geben als das sympathisch vergilbte Literaturforum im Brecht-Haus, um noch einmal diesem kleinen, untergegangenen Land nachzufühlen. Dem Land, über das Braun in seinem berühmtesten Gedicht schrieb: „Was ich niemals besaß, wird mir entrissen.“ Viele Menschen lesen an diesem Nachmittag aus ihrem Geburtstagsgeschenk an Braun, einem gerade erschienenen Arbeitsbuch. Nestgefühl stellt sich ein. Jeder, der hier ist, verbindet viel mit Braun. Da sind zunächst einmal die aus dem Osten, die Literaturwissenschaftler Silvia und Dieter Schlenstedt, Hans Kaufmann und der Regisseur Manfred Wekwerth.

Ihre Anreden an Braun sind vor allem persönlich, voller Anekdoten. Sie berichten von biographischen Verflechtungen mit dem Werk Brauns. Die Westler unter den Rednern betonen dagegen vor allem Brauns Skeptizismus, die Ernsthaftigkeit seiner dialektischen Analyse des Realsozialismus und auch der nun herrschenden Verhältnisse. Volker Braun wird nicht ganz zu Unrecht vorgeworfen, er verschließe sich vor den „Verlockungen der postmodernen Konsumgesellschaft“. Zu späterer Stunde, bei der Lesung von Schriftstellern für Braun, kommt Peter Härtling zu Wort. Er erzählt davon, wie er Braun nur hörend lesen kann, mit diesem Tonfall, „als zwinge er manchmal qualvoll die Worte aus dem Körper“. Sicher, Enthusiasmus und Neugier als Motivation für Produktivität war Volker Brauns Leidenschaft nie. Er selbst spricht kurz zuvor in einer Dankesrede an seine Gratulanten vom Streben, die Wirklichkeit im Text dorthin zu führen, wo sie am meisten schmerzt. In seinem neuen Gedichtband „Tumulus“, aus dem an diesem Abend viel zitiert wird, reduziert Braun die Beschreibung der westlichen Welt auf die üblichen zwei Kritikpunkte, mit der „Edle Seelen“ nun mal so aufwarten: Die Vernachlässigung der Ökologie und die vermeintliche Ausbeutung der Dritten Welt in dieser tauben, grauen Zeit.

An dieser Eindimensionalität ändert auch sein Satz nichts: „Einmal abgesehen davon, wie es anders wäre“ – ein Versuch, dem Verlust der Gleichheit als Kern der Utopie das Utopische entgegenzuhalten, die gar nicht so unwürdige kleinteilige Veränderung. Brauns Unaufgeschlossenheit für die „veränderte Landschaft“ und sein Masochismus verschieben das Interesse an ihm unweigerlich und auch an diesem Abend. Nicht Kapitalismuskritik, sondern vor allem das immer wieder und wie von sonst keinem auf den Punkt gebrachte Paradox, Utopist in der DDR gewesen zu sein und auch in der BRD zu bleiben, ist es, das ihn noch immer zu einem der besten Schriftsteller der DDR macht.

Im vorgetragenen Gedicht „Die Bucht der Hingeschiedenen“ wird den Toten der Zugang ins Paradies verwehrt. Sie besaßen die Frechheit, auf einen anderen Sozialismus zu hoffen, auch nach dem Zusammenbruch des Realsozialismus. Vielleicht entsteht so dieser anarchische Trotz, der Witz dieses Dichters, die Gelassenheit in seinem Gesicht, die diese ganze fröhliche Feier begleitet. Susanne Messmer

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