: Der Euro in den Zeiten des Krieges
■ Die so erfolgreich gestartete europäische Währung leidet unter Schwächeanfällen. Friedensverhandlungen werden immer dringlicher – auch für die Zukunft des Euro
Der Euro befindet sich im Sinkflug: von einem Anfangswert von 1,18 US-Dollar am 4. Januar auf einen Tiefststand von 1,05 Ende April. Konnte man eine gewisse Anfangsschwäche des Euro noch auf das höhere Wirtschaftswachstum in den USA, auf einen US-Zinsvorsprung und das laute deutsche Fordern von Wechselkurszielzonen schieben, so wird nach fünf Wochen Kosovo-Krieg immer deutlicher: Der Krieg der Nato gegen Jugoslawien kostet nicht nur Menschenleben und bedeutet nicht nur immer mehr Zerstörung, ohne daß die Nato die ursprünglichen Kriegsziele erreicht – er könnte bald auch ein Opfer in der EU fordern: die Stabilität des Euro.
Binnen weniger Wochen könnte der Euro – bei anhaltendem Jugoslawien-Krieg – auf unter 1 Dollar fallen, und dann wäre der Traum vom Euro als einer international bedeutsamen Währung rasch ausgeträumt. Lediglich die Hoffnung auf eine baldige Lösung des Kosovo-Konflikts hat in den letzten Tagen den Euro wieder auf gestern knapp unter 1,08 Dollar anheben können.
Die neue Währung Euro und die EZB waren zu Jahresbeginn gekonnt gestartet. Wenn man von der hohen Arbeitslosenquote in Euroland absieht, dann waren die Startvoraussetzungen sehr gut: niedrige Inflationsrate, rückläufige Haushaltsdefizite, ein absehbarer Konjunkturaufschwung; zudem wurde der Euro als ernsthafter Rivale zum Dollar eingeschätzt. In der Tat wurden im ersten Quartal 1999 mehr auf Euro lautende Schuldverschreibungen ausgegeben als auf Dollar. Viele asiatische Notenbanken und institutionelle Anleger auf der ganzen Welt waren geneigt, auf die neue Euro-Währung zu setzen.
Für Euroland bedeutete die internationale Euro-Bonds-Nachfrage, daß die Wertpapierkurse stiegen und der Zins weiter sank. Das aber war für die Konjunktur-, Wachstums- und Beschäftigungsaussichten positiv. Eine leichte Euro-Abwertung als Stimulanz für die Exportindustrie wäre auch noch willkommen. Aber wenn der Euro im Startjahr, in dem es das Vertrauen internationaler Anleger dauerhaft zu gewinnen gilt, immer weiter gegenüber dem Dollar absackt, haftet ihm schnell der Ruch einer Verliererwährung an.
Nicht allein psychologische Gründe – etwa der Hinweis, daß Europa nun Kriegsgebiet ist und das auch noch in einer kritischen Phase der EU-Osterweiterung – sprechen dafür, daß der Krieg den Kurs des Dollars nach oben und den des Euros nach unten treibt. Es gibt mindestens sechs Fundamentalgründe:
(1) Der Jugoslawien-Krieg schwächt das Wachstum in Osteuropa merklich, so daß die EU-Exporte einen Dämpfer erhalten. Sollten sich im Extremfall, wie in einer neuen Studie simuliert, die EU-Exporte nach Osteuropa halbieren, dann werden speziell Deutschland, Österreich, Finnland und Italien erhebliche Wachstumsverluste verzeichnen.
(2) Der Krieg mit seinen Kosten – inklusive Flüchtlingshilfe und Wiederaufbau – wird maßgeblich von Euroland finanziert werden müssen. Diese Kosten werden ca. 40 Milliarden Euro betragen. Die Größenordnung ist enorm, immerhin ein halber EU-Jahreshaushalt. Neue Budgetkonflikte sind zu erwarten.
(3) Der Krieg dürfte zu einem erheblichen Migrationsdruck aus dem Balkan in die EU führen, wodurch sich Arbeitsmarktprobleme in bestimmten Regionen weiter verschärfen könnten.
(4) Da der Krieg in 17 europäischen Nato-Ländern das Hauptaugenmerk der Regierenden beansprucht, bleibt für aktive und durchdachte Reformpolitik zur Überwindung der Beschäftigungs- und Wachstumsprobleme kaum Raum bzw. politische Energie. Die Chance für Strukturreformen wird verspielt.
(5) Der Jugoslawien-Krieg wird weltweit zu einem neuen Rüstungswettlauf beitragen, wovon die führenden US-Hochtechnologieproduzenten besonders profitieren werden. Der Krieg ist also ein zusätzlicher Treibsatz für die US-Börse, während in Euroland die Perspektiven für Kursgewinne mit jeder Kriegswoche beeinträchtigt werden. Je länger Europa in der Wahrnehmung internationaler Anleger Kriegsgebiet ist, desto geringer die Aussichten auf weiter sinkende Zinsen. Denn für ein Kriegsgebiet gibt es immer einen Risikoaufschlag.
(6) Der Verlauf des Nato-Kriegseinsatzes hat überdeutlich vor Augen geführt, daß die USA dominieren und die europäischen Nato-Länder, allen voran Deutschland, wie stumme Fische und strategisch unklug agieren. Während die USA einen Krieg noch lange problemlos weiterführen könnten, gibt es sicher gute Gründe, warum nicht nur Jugoslawien, sondern auch die EU-Länder Interesse an Verhandlungen und einem baldigen Friedensschluß haben.
Mit einer Abwertung von 11 Prozent in vier Monaten hat der Euro massiv an Wert gegenüber dem Dollar verloren. Zwar mag man argumentieren, daß der US-Dollar in den 80er Jahren von seinem Mittelwert aus gesehen um mehr als 25 Prozent nach oben und unten im Kurs schwankte, aber der Dollar ist eine seit den 30er Jahren weltweit etablierte Währung, dem die Anleger ein über Jahrzehnte gewachsenes Grundvertrauen entgegenbringen – so gesehen kann sich Euroland nicht mit den USA vergleichen.
Sollte der junge Euro schon im ersten Jahr über 20 Prozent verlieren, sind seine Perspektiven, zu einem ernsthaften Rivalen des Dollars zu werden, für viele Jahre nahe Null. Dem Vernehmen nach plant China – große und hartnäckige Euro-Wertverluste vor Augen –, sich vom Euro teilweise zurückzuziehen, der in der Reservehaltung des Landes zunächst eine prominente Rolle zu gewinnen schien. Auch japanische Anleger zeigen sich nervös. Der Jugoslawien-Krieg könnte nicht nur den Balkan, sondern auch Euroland am Ende teuer zu stehen kommen.
Wenn der Euro im Jahresverlauf tatsächlich abstürzen sollte, wird der große Gewinner neben dem Dollar Großbritannien sein: Der britische Walfisch, wird es heißen, war zu Recht kritisch gegen den Euro eingestellt, also wird es auch nichts mit der raschen Integration von Großbritannien mit seinem global wichtigen Finanzzentrum ins Euroland.
Wer weiß, mit welch bescheidenem Problemhorizont Außenminister Fischer in seinen humanitären Krieg zog, der wird ihm zumindest bescheinigen können, er habe die negativen Neben- und Folgewirkungen des Nato-Luftkriegs nicht gesehen. Wenn die Grünen den Euro-kritischen britischen Wal demnächst hören sollten, wird mancher wohl laut denken: Rettet die Wähler und den Euro, da ist Fischer nur im Weg! Paul Welfens ‚/B‘Prof. Welfens ist Präsident des Europäischen Instituts für internationale Wirtschaftsbeziehungen an der Universität Potsdam.
Der Krieg könnte nicht nur den Balkan, sondern auch Euroland am Ende sehr teuer zu stehen kommen
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