: Der lange Weg zur richtigen Resolution
Amtsdeutscher Appell an den Weltgeist: In Bremen debattierte der deutsche PEN über den Kosovo-Krieg ■ Von Jörg Magenau
Von der Decke hingen riesige Kronleuchter und kanonenbewehrte Segelboote. An den Wänden starrte allegorische Malerei und hölzernes Chorgestühl mit geschnitzten Gesichtern und Brüsten. Das Bremer Rathaus ist eine bürgerliche Kathedrale aus der Zeit, als Kaufleute noch Könige waren. Für den PEN, der hier seine erste Jahrestagung nach der deutsch-deutschen Vereinigung abhielt, wirkte das Gebäude auf seltsame Weise zu groß und feierlich: Als wären die Vertreter des Geistes im Gehäuse der Macht zusammengeschnurrt wie vertrocknete Überreste einer vergangenen Epoche. Keine Könige hielten Einzug, sondern die geriatrische Abteilung der deutschen Literatur, gewillt, die Schlagkraft des Intellektuellenstandes in Zeiten des Krieges ein wenig aufzupolieren.
Ein „Bettelorden“ sei der PEN, meinte dessen Präsident Christoph Hein scherzhaft und stellte sich gleich mit einem Strohkörbchen neben die Tür, um die „Kollekte“ zugunsten der Kosovo-Flüchtlinge einzusammeln. Der PEN ist ohne Zweifel eine Kirche. Es darf gepredigt werden. In Zeiten des Krieges hilft nur Beten – oder eine Resolution. „Die Leute erwarten von uns, daß wir ihnen eine Denkhilfe geben“, rief Peter Kober aus, ein nordrhein-westfälischer Autor mit wallendem Haar und meditativer Halskette. Und für den Berliner Publizisten Werner Liersch war „die Stunde angebrochen, in der ein Zeichen gesetzt werden muß“.
Bücher zum Bau der Bürgergesellschaft
Das Pathos vibrierte, die Latte lag hoch, aufgelegt auch von Nenad Popovic, dem besonnenen kroatischen Verleger. „Es gibt keine Antworten auf Massaker“, sagte er, „sondern nur Fragen. Wozu wir aber paradoxerweise gezwungen sind, sind Stellungnahmen. Ohne das disqualifizieren wir uns für unsere Generation und machen uns der Bequemlichkeit schuldig.“ Ein anderer formulierte es so: „Wir müssen diese Resolution machen. Was können wir sonst tun?“ Doch was soll drinstehen? Und an wen soll sie sich richten? An den Weltgeist, wie sich Ursula Krechel mokierte? An Miloevic, die Nato? Wäre das mehr als eine Demonstration der eigenen „Hilflosigkeit“ (Brigitte Oleschinski) und peinlicher „Selbstüberschätzung“ (Jürgen P. Wallmann)? Doch Resolution ist, wenn man's trotzdem macht. Und so stand am Ende der stundenlang wogenden Debatte die mit großer Mehrheit beschlossene Forderung nach einem „Moratorium des Nato-Bombardements und damit einhergehend die Einstellung der Verfolgung und Vertreibung im Kosovo und aller Kampfhandlungen der UÇK“. Dieses Ergebnis ist bemerkenswert: Erstens deshalb, weil der Resolutionsverabschiedungsautomatismus früherer Tage gebrochen scheint. Statt reflexhaft handelte man reflexiv, in Erfüllung einer politischen Pflicht, einer öffentlichen Erwartungshaltung, selbst zweifelnd. Zweitens, weil dem PEN soviel Entschlußkraft nicht zuzutrauen gewesen war. Übervorsichtig hatte Christoph Hein die Debatte eröffnet und dabei von vornherein die Möglichkeit einer gemeinsamen Erklärung in weite Ferne gerückt. Nach dem jahrelangen internen Streit um die Vereinigung fürchtete er ein neues Zerwürfnis, das den PEN endgültig ruinieren könnte. Vor allem aber zeigt die Forderung nach einem Moratorium, daß die Stimmung im Land kippt und die Nato-Bombardements auch denen nicht länger sinnvoll erscheinen, die sie anfangs für unausweichlich hielten. Da taugt der PEN-Club – gerade in der Durchschnittlichkeit der in ihm versammelten Köpfe – durchaus als Indikator.
Am wenigstens traut der PEN seltsamerweise sich selbst. Satzungsgemäß ist er dazu verpflichtet, verfolgten und bedrohten Autoren zu helfen und für die Freiheit der Meinungsäußerung einzutreten. Mit der „Writers in Prison“-Sektion verfügt er über ein durchaus wirksames, amnesty international ähnliches Instrument, um Druck auf Regierungen auszuüben. Elsbeth Wolffheim, WiP-Beauftragte des PEN, stellte darüber hinaus das neue „Writers in Exile“-Programm vor, mit dem Autoren in den Exilländern aus Sprachisolation, Einsamkeit und Geldmangel herausgeholfen werden soll. Freimut Duve, als Vertreter der OSZE gerade aus Skopje zurückgekehrt, berichtete, daß es in den Lagern auch an Büchern und eigenen Zeitungen mangele. Es mag auf den ersten Blick lächerlich erscheinen, für Menschen, die hungernd und frierend im Schlamm stehen, Bücher zu empfehlen. Doch der Krieg zerstört nicht nur Dinge, sondern auch die Bedingungen des Denkens und die Strukturen der Zivilgesellschaft. „Der Bürgerbegriff“, so Duve, „hat im ehemaligen Jugoslawien keine Chance mehr“, doch man kann nicht früh genug damit beginnen, an so etwas wie Öffentlichkeit und Liberalismus wenigstens zu erinnern.
Auf diesen Gebieten hätte der PEN seine originären Aufgaben. Doch gerade hier wirkt er träge und resolutionsberuhigt. Zwar beschloß man, eine Arbeitsgruppe zu initiieren, die nach Ende des Krieges einen internationalen Schriftstellerkongreß einberufen soll, um dort „die Bedingungen eines langfristig wieder friedlichen und demokratischen Zusammenlebens der Volksgruppen und Minderheiten in ihrem Heimatgebiet im Kosovo zu erörtern“. Doch warum so spät? Und warum muß dazu ein Kongreß erfunden werden, wo es doch den internationalen PEN bereits gibt? Warum hat man damit nicht gleich in Bremen begonnen?
Ein leeres Arbeitszimmer im Kosovo
Immerhin lud man pflichtschuldig „Autoren aus der betroffenen Region“ ein, wie es in schönstem PEN-Amtsdeutsch heißt. Der albanische Schriftsteller Ali Podrimja hat das Kosovo nach sieben Kriegstagen verlassen. Alles, was ihm blieb, ist ein Schlüssel, den er demonstrativ hochhielt: „Er erinnert mich daran, daß ich ein Haus besaß und ein Arbeitszimmer.“ Podrimja sprach vom „biblischen Ausmaß“ der Katastrophe, davon, daß er nicht mehr wisse, „was der Unterschied zwischen Mensch und Tier“ sei. Er zitierte Paul Celans „schwarze Milch der Frühe“ und bezeichnete die verbliebenen Pazifisten als „Nostalgiker für einen blutigen Frieden“. Der Serbe Bora Coic, der die Verblendung und Erinnerungslosigkeit des serbischen Volkes – „Besatzer seiner selbst“ – anklagte, fühlte sich bei den Belgrader Rockkonzerten gar an das „erzwungene Musizieren im Ghetto Theresienstadt“ erinnert. Holocaust allerorten; die Maßstäbe scheinen in Nähe des Geschehens weiter zu verwirren.
Diese Positionen hätten in ihrer Unerbittlichkeit jegliche weitere Debatte eigentlich verbieten müssen, weil sie allenfalls Betroffenheit hervorrufen, aber keine argumentative Auseinandersetzung eröffnen – insofern Zeugen des Krieges, der nach Waffen verlangt und nicht nach Worten. Niemand ging in der folgenden Diskussion auf die „betroffenen Autoren“ ein – Opfer sind einsam. Bis dann Alida Bremer, eine aus Kroatien stammende Übersetzerin mit deutschem Paß, wütend darauf hinwies, daß die Gäste den Kongreß aus Protest verlassen hätten. „Warum ist hier immer nur von Deutschland die Rede, daß Deutschland im Krieg ist? Das ist doch lächerlich!“ Sie könne es nicht mehr hören, daß immer wieder gesagt werde, man wisse zuwenig. Zehn Jahre sei Zeit gewesen, sich zu informieren, man könne alles wissen, und nur in einer Demokratie sei es möglich, über jeden aus Versehen getroffenen Bus sofort informiert zu sein.
„Wir haben diese Schelte wohl verdient“, meinte Johano Strasser, Herr Kober sagte: „Ich schäme mich“, und schon war alles wieder gut. Denn siehe, die Resolution wurde verabschiedet, der PEN bekannte sich zum Frieden, man trat ans Buffet. Amen.
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