„Kompetenzveranstaltungen“

■  Walter Momper hat seinen Wahlkampf begonnen. Doch das interessiert nicht einmal die Medien. Nur fünf Journalisten lauschten gestern dem SPD-Spitzenkandidaten zum Thema Verkehrspolitik

Fast könnte man Mitleid bekommen. Die SPD-Parteizentrale in Kreuzberg wirkt so geleckt wie leer. Schimmerndes Glas, kalte Stahlgeländer, glatte Betonflächen umgeben im Atrium das übergroße Standbild des sozialdemokratischen Übervaters Willy Brandt, des Namensgebers des Gebäude – eine Erinnerung an bessere Zeiten.

Wie ein Fremdkörper in all dieser Pracht moderner Architektur: Walter Momper, bodenständiger Spitzenkandidat der Genossen für die Landtagswahl im Oktober. Der leicht ergraute Bauprojekt-Entwickler sitzt mit seinem Parteisprecher Frank Zimmermann und dem städtischen SPD-Verkehrsexperten Christian Gaebler in der leeren Kantine und wartet auf die Journalisten. Im Nebenraum wird er seine Vorstellungen zum Thema „Mobilität – Verkehrskompetenzzentrum Berlin“ vorstellen. Eine Fernsehjournalistin hat ihre Kamera in Position gebracht, zwei Sicherheitsleute sitzen gelangweilt in der letzten Reihe des klassenzimmergroßen Raumes. Auf den paar Dutzend blauen Stuhlen haben vier Journalisten Platz genommen. Irgend jemand hat eine abgewetzte Ledertasche auf einen der zwei Tische gestellt, an denen Momper sitzen soll. Darüber elf Strahler für TV-Aufnahmen, niemand hat sie eingeschaltet.

Frank Zimmermann hastet kurz herein und fragt einen Journalisten, ob sonst noch eine andere wichtige Pressekonferenz in der Stadt laufe. Schließlich ist es so etwas wie die Eröffnung des Wahlkampfes des SPD-Kandidaten. Er liegt derzeit in Umfragen bei 26 Prozent der Wählerstimmen und muß sich auch von Parteigenossen den Vorwurf gefallen lassen, er komme nicht in die Puschen.

Momper schreitet mit Gaebler und Zimmermann herein. Er lächelt, von Enttäuschung über die geringe Resonanz ist nichts zu sehen. Zwei Sätze des Parteisprechers, dann hat der Spitzenkandidat das Wort. „Zuerst mal zur CDU“, beginnt er unvermittelt. Er schimpft ein wenig über die Landesparteitag des bürgerlichen Koalitionspartners am Wochenende, bei der der Regierende Bürgermeister Eberhard Diepgen mit SED-großem Prozentsatz wieder mal zu seinem Gegenspieler als Spitzenkandidat gewählt wurde. Die CDU habe kaum etwas zur Wirtschaftspolitik gesagt und keine Antworten auf die Zukunftsfragen der Stadt gestellt – offenbar interessiere sie sich noch nicht einmal dafür. Dann kündigt er für heute die erste „Kompetenzveranstaltung“ seiner Gesprächsreihe „Aufbruch '99 – Kompetenz für Berlin“ an. Es geht um „Mobilität“. Experten wie etwa Bundesverkehrsminister Franz Müntefering (SPD) und Bahn-Vorstand Klaus Daubertshäuser sollen mit ihm über die Verkehrspolitik der Stadt reden. Fünf solcher Expertenforen soll es geben – zu den Themen „Wirtschaftsstandort Berlin“, „Chancen regionaler Technologiepolitik“, „Jugend mit Perspektiven“ und „Medienstandort Berlin“. Immer dabei: Walter Momper.

Schnell rattert der SPD-Kandidat dann seine Ansichten zur Verkehrspolitik runter: Wie bei der Wirtschaftspolitik hätten die (CDU-)„Verantwortlichen“ im Senat auch beim Thema Verkehr „eklatant versagt“. Der Stau in der Metropole habe zugenommen, eine „Wende“ in der Verkehrspolitik sei nötig, er wolle eine veränderte Politik, nicht eine neue Große Koalition für Berlin.

Momper wirft Verkehrssenator Jürgen Klemann (CDU) „Versagen“ vor. Der öffentliche Personennahverkehr (ÖPNV) müsse verstärkt werden. Das könne nur mit der Wiedereinführung der Umweltkarte geschehen. Der Verkehrsentwicklungsplan, seit vier Jahren auf Eis, müsse endlich umgesetzt werden, Straßenbahnen und Busse müßten durch ein „Beschleunigungsprogramm“ und Vorrangschaltung bei Ampeln schneller durch die Stadt kommen und damit attraktiver werden. Aber auch hier habe man „eklatant versagt“. Die anstehende Liberalisierung des EU-Verkehrsmarktes biete Chancen für die Wettbewerbsfähigkeit der BVG. Aber auch hier habe „der Senat versagt“.

Die Fernsehjournalistin packt ihre Kamera ein. Jetzt dürfen die vier Jounalisten fragen. Ein paar Fragen zum Umweltticket: Es soll notfalls auch mit einem Landeszuschuß finanziert werden, erklärt Momper. Zur BVG: „Strategische Allianzen“ soll es geben, erklärt er, etwa mit Mexiko oder ... Moskau?

Der Spitzenkandidat sucht hilfesuchend Blickkontakt mit seinem Verkehrsexperten. Es sei schlecht, daß man an der S-Bahn-Station Warschauer Straße ein paar hundert Meter ohne schützendes Dach laufen müsse, wiederholt Momper zweimal. Ziel müsse es sein, den ÖPNV „bequemer, sicherer und sauberer“ zu machen.

Noch ein paar nette Worte zur frisch gewählten Grünen-Spitzenkandidatin Renate Künast und zu den den schlechten Umfrageergebnissen seiner Partei („Wir stehen erst am Anfang des Wahlkampfes – noch sechs Monate.“) – dann hat es Momper geschafft. Er stellt sich neben die zwei verbliebenen Journalisten, drei Mitarbeiter und zwei Sicherheitsleute in den Fahrstuhl. Der Glaslift gleitet hinter Rücken Willy Brandts hinab. Philipp Gessler