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■ Dokumentation: Billers Kolumne, die die Zeit nicht drucktDas Buch Joschka

„Ich wollte mein Leben immer wie einen Roman leben“, sagt der Mann, ohne dessen Ja heute vielleicht gar nicht Krieg wäre in Jugoslawien – jedenfalls nicht mit unserer Beteiligung. „Ich wollte immer ein Leben führen, das ein Stück weit ungewöhnlich ist“, sagt der Mann, ohne dessen Ja es deutsche Soldaten fünfzig Jahre nach Stalingrad noch immer nicht mit echt schießenden und original sterbenden Feinden zu tun hätten. Und dann sagt dieser so unprosaische Ja-Sager namens Joschka Fischer auch noch: „Ich fand schon als Kind, wenn mir Himmel und Hölle geschildert wurden, die Hölle weitaus interessanter.“

Damit das klar ist: Wenn ich selbst Außenminister wäre, gehörte ich in dem ganzen Kosovo-Wahnsinn zur absoluten Hardcore-Bodentruppen-Fraktion und hätte goldhagenmäßig die Umerziehungspläne für alle Großserben längst in der Schublade. Aber wenn ich Außenminister wäre, würde ich nur Außenminister sein wollen, nichts anderes. Kein Teufel, kein Abenteurer – und schon gar nicht eine Romanfigur. Denn Romane haben nichts mit der Wirklichkeit zu tun. Romane sind nicht wahr. Romane sind Erfindungen, in denen zur Unterhaltung ihrer Autoren und Leser das Unmögliche möglich wird. Romane sind Lüge.

Liebt Joschka Fischer die Lüge? Ja – zumindest dann, wenn er als Held seines eigenen Lebensromans an ihm weiterdichten kann. Der Roman dieses Lebens, wer wüßte es nicht, ist der eines kleinbürgerlichen Aufsteigers, dessen neiderfüllte Wut auf die Ausgrenzungen des Establishments ihn zuerst auf die Idee brachte, das Establishment mit linken Ideen und rechten Straßenkämpferhaken abzuschaffen, um es bloß durch ein anderes Idiotensystem zu ersetzen, und weil das nicht ging, kam ihm eben eine neue Idee, und ich glaube, hier muß ich gar nicht mehr weiterreden.

Doch, ich muß. Ich muß so lange reden, bis auch noch der letzte Wähler-Naivling und allerletzte Bild-Leitartikler begreift, daß dieser so menschliche, so gefühlige, so feminin körperbewußte Joschka Fischer alles andere ist als der einzige ehrliche Politiker, den wir haben. In Wahrheit ist er, was sollte er als Hyper-Parvenü anderes sein, das genaue Gegenteil davon: Was er gestern sagte, gilt heute nicht mehr, und manchmal leugnet er sogar, es überhaupt gesagt zu haben. So wird mit jedem seiner neuen dichterischen Einfälle das Buch Joschka um ein Kapitel dikker, und die überbordende Phantasie des Autors verschlingt den Realitätssinn des Publikums.

„Ich war nie ein Nato-raus-Kämpfer“, fabuliert Fischer heute, während er in den 80ern noch davon überzeugt war, „daß wir aus dieser Schlachtfeldsituation in Mitteleuropa rauskommen müssen und daß wir dazu keine Militärbündnisse mehr brauchen“.

Auf die Frage, ob er früher Antiamerikaner war, erwidert er, nein-nein-nein, er hätte zwar an Demonstrationen teilgenommen, bei denen US-Flaggen verbrannt wurden, aber dafür hätte er immer Bob Dylan und Joan Baez gehört. Und wer von ihm wissen will, ob es nicht doch etwas opportunistisch sei, wie er sich heute kleidet, dem münchhaust er mitten ins Gesicht: „Der Anzug ist meine Arbeitskluft. Im übrigen: Ich hab' schon immer gern Schurwolle getragen.“

Lügen und rhetorische Tricks eines Aufsteigers, der von seiner kompromittierenden Vergangenheit nichts mehr wissen will? Als Außenminister empfindet Joseph Wolfgang Fischer die Wahrheit auch eher als den Feind seiner inneren Lebensdramaturgie. Das fängt schon damit an, daß er noch im März 98 verkündet, er wäre niemals bereit, Außenminister zu werden; als er es dann ist, erklärt er, er sei für Militäraktionen im Ausland nur mit UN-Mandat zu haben; als deutsche Bomber ohne UN-Mandat Serbien zu bombardieren beginnen, begründet er die Einsätze, indem er von der „SS von Herrn Miloevic“ spricht und davon, daß Miloevic „bereit war, zu handeln wie Hitler“; und als man ihm das vorhält, behauptet er einfach, er habe „keine Parallelisierung zwischen Auschwitz und den aktuellen Ereignissen“ vorgenommen.

Ja, sind denn alle bescheuert?! Merkt wirklich keiner, daß dieser Mann immer nur dichtet und fabuliert und lügt? Nein, es merkt keiner. Dafür ist das Buch Joschka einfach zu spannend. So viele fesselnde Szenen, so viele überraschende Wendungen: Joschka auf den brennenden Barrikaden. Joschka im Knast. Joschka in Turnschuhen und in teuren Budapestern. Joschka im Krieg. Nur wie endet dieser Roman? Was sein Autor plant, weiß er, zu unser aller Unglück, noch nicht einmal selbst.

Ich jedenfalls wüßte einen guten Schluß, tragisch für den Helden, aber gut für uns: Niederlage auf dem Grünen-Parteitag, Rücktritt vom Amt, Fall ins absolute politische Nichts.

Und wer wird dann Außenminister? Am besten einer, der genau weiß, was Literatur ist und was Realität. Ein echter, ehrlicher, ungefährlicher Pragmatiker. Eben einer wie ich. Maxim Biller

Der Autor ist Schriftsteller und Journalist. Seit 1996 schreibt er monatliche Kolumnen für das „Zeit-Magazin“. Dieser Text war als Kolumne für das neue Ressort „Leben“ in der heutigen Ausgabe der „Zeit“ vorgesehen. Die Redaktion lehnte den Text ab – erstmals in der Geschichte der „Zeit“-Kolumne

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