Mit Titos bewährter Igel-Taktik der Nato trotzen

■ Die jugoslawische Armee ist auch nach 50 Kriegstagen noch kaum geschwächt. Vor allem mobile Flugabwehrkanonen sind eine Gefahr für die amerikanischen Apache-Hubschrauber

Westliche Militärexperten beschreiben die jugoslawische Armee als professionellen Verband, „der nicht so leicht auszuschalten ist“. Sie verfügt über zahlreiche dezentrale Verbände und vielfältige Depots, und noch vor einem Jahr zählten die Streitkräfte 115.000 Soldaten. 40.000 davon, wird geschätzt, sind heute im Kosovo eingesetzt.

Hervorgegangen aus den Partisanenverbänden im Zweiten Weltkrieg, verfolgte der jugoslawische Staat unter Marschall Tito, so Lutz Unterseher, Vorsitzender der Studiengruppe alternative Sicherheitspolitik in Bonn, die „spezifische Variante eines defensiven Verteidigungssystems“.

Nach 1968, unter dem Eindruck des Einmarsches des Warschauer Paktes in die Tschechoslowakei, überführte die jugoslawische Armee ihr Konzept einer Partisanenarmee in das einer sehr weitreichenden nationalen Verteidigung. Gestützt auf die allgemeine Wehrpflicht, wurde ein umfassendes militärisches Netz installiert, in dem die regulären Streitkräfte ebenso gut ausgebildete wie ausgerüstete Reserveeinheiten in großer Zahl mobilisieren konnten, um auch dem Angriff einer Supermacht widerstehen zu können.

Schätzungen gehen zur Zeit davon aus, daß die chronisch defizitäre jugoslawische Armee heute noch zwischen 200.000 und 400.000 Mann mobilisieren kann. Von der Konzeption her stützt sich das Regime von Slobodan Miloevic weiterhin auf die Strategien des früheren Staatschefs Tito. Dessen Konzept der „Einigelung“, des Sich-Überrollen-Lassens durch den Gegner und des anschließenden dezentralen Widerstandes, war ersonnen worden für einen Abnutzungskrieg im Fall einer Invasion durch die Sowjets. Die gleiche Strategie läßt sich nun gegen potentielle Nato-Truppen anwenden.

Allein die Infanterie- und Panzerverbände der jugoslawischen Armee stellen rund 85.000 Mann. Westliche Militärs beschreiben sie als robust und ausdauernd, und wenige Wochen vor dem Krieg galten ihre Kommandostrukturen noch als intakt.

Technologisch befindet sich die militärische Ausrüstung der jugoslawischen Armee auf dem Stand der siebziger Jahre. Sie gilt dennoch als einigermaßen robust und zuverlässig. Und mit dem Panzertyp „M 84“ verfügt sie über eine Weiterentwicklung des sowjetischem „T-72“: „ein effektives Gerät“, wie das britische Verteidigungsministerium urteilt. Als weiteres wichtiges Kriegsgerät nennen die Briten den T-55 Panzer, der – wenn auch in den späten 40er Jahren entwickelt – noch immer als zuverlässig gilt. Auch der Sicherheitsexperte Unterseher nennt den Fuhrpark der Serben mit rund 1.000 Panzern und 600 gepanzerten Infanteriefahrzeugen einen „relevanten Faktor“, der trotz der wochenlangen Bombardements nicht beseitigt sei.

Das Zögern der Nato, die militärischen und paramilitärischen Verbände der Serben im Kosovo aus geringer Höhe vor allem mit den zur Wunderwaffe hochstilisierten Apache-Hubschraubern zu bekämpfen, wird vielfach auf die vermutlich noch intakten Luftabwehreinrichtungen der jugoslawischen Streitkräfte zurückgeführt. Sie bestehen überwiegend aus russischen Boden-Luft-Raketen des Typs SA-2, -3 und -6 sowie aus den taktischen Flugabwehrsystemen SA-9 und -13. „Davon ist nichts zu befürchten“, widerspricht der Bonner Sicherheitsfachmann Unterseher und spricht von einer „Gespensterdebatte“. Die „qualitative Schwäche“ der in den 70er und 80er Jahren in der Sowjetunion gebauten Raketenabwehrsysteme sei hinlänglich bekannt, sie seien heute nur „ein Haufen Schrott“.

Die Gefahr für die Piloten, die die Nato-Verantwortlichen soweit als möglich reduzieren möchten, geht von anderen Waffen aus. Gerade in der letzten Phase eines Luftkrieges, bei Angriffen auf Truppen und Artillerie in den Tälern und Schluchten des Kosovo, wären die Angreifer der Nato-Luftflotte besonders verwundbar – weniger durch radargesteuerte Raketen als durch technisch altmodische Maschinenkanonen, die von jeder Bergkuppe aus die niedrigfliegenden Bomber und Hubschrauber beschießen könnten. Diese Flugabwehrkanonen sind zwar technologisch auf dem Stand von Mitte der dreißiger Jahre. Dennoch sind sie eine Gefahr für die Hightech-Flieger der Nato, denn der Beschuß eines Nato-Jets mit einer dieser Waffen kündigt sich im Gegensatz zu moderneren Raketensystemen nicht durch einen vorherigen Radarstrahl an. Über 1.800 solcher Flugabwehrkanonen mit Kaliber 20, 30 oder 57 Millimeter soll die jugoslawische Armee verfügen.

Nach dem Urteil Odfried Nassauers vom Berliner Institut für Transatlantische Sicherheit gehen die bisherigen Auswirkungen der Nato-Bomben im Hinblick auf die Kampffähigkeit der serbischen Verbände „gegen Null“. Die Zerstörung einer zentralen Kommandostruktur sei wenig relevant, weil über 70 Prozent aller militärischen Aktionen auf „Kleingruppenebene“ koordiniert werde. Die Zahl der Raketen oder Panzer sei nicht entscheidend, Bedeutung habe vielmehr das Kleingerät, „von der Panzer- bis zur Fliegerfaust“.

Die Zahlen, die derzeit über die jugoslawische Armee bekannt sind, basieren fast ausschließlich auf Angaben aus der Zeit vor den Nato-Lufteinsätzen. Wieweit die permanenten Bombardierungen das militärische Potential und die Beweglichkeit der serbischen Verbände tatsächlich einschränkt haben, ist reine Spekulation. Im Brüsseler Hauptquartier der Nato wurde am letzten Freitag stolz verkündet, im Kosovo seien nunmehr 50 Prozent der Munitionsvorräte und über 300 militärische Ziele zerstört worden. 200 davon seien Panzer, Artilleriegeschütze oder Militärlastwagen gewesen. Das sind, wie Nato-Sprecher Jamie Shea auf Nachfragen einräumen mußte, ungefähr 20 Prozent der schweren Waffen, über die die Serben im Kosovo vermutlich verfügen. Wolfgang Gast