■ Vor dem Parteitag: Parteienforscher Joachim Raschke beschreibt grüne Theatralik und die Rolle des Außenministers, der seiner Partei den leichten Ausweg verwehrt, Ex-UN-Botschafter Hans Arnold lobt Fischers Mühen, aus einer falschen Nato-Politik das Beste zu machen: „Krieg als Lehrmeister der Grünen“
taz: Die Grünen sind vor ihrem morgigen Sonderparteitag nervös. Haben sie Grund dazu?
Joachim Raschke: Eigentlich nicht. Grüne Parteitage bringen nur überraschende Ergebnisse, wenn niemand sie erwartet. Immer dann, wenn alle Augen auf die Grünen gerichtet waren und sie selbst ihre Antennen in die Gesellschaft ausgefahren haben, hat die Partei pragmatisch und verantwortlich entschieden.
Wird die Entscheidung des Parteitages also theatralisch überhöht, nach dem Motto: Je schriller der Alarm, desto größer die Disziplin?
Eine Überhöhung findet auf jeden Fall statt. Es ist nur ein Parteitag im Krieg, und die Grünen sind darin lediglich ein Nebenakteur. Hauptakteure sind die Nato, die Vereinten Nationen, die Amerikaner, die Bundesregierung. Die Partei ist in Bielefeld in der Gefahr, sich als oberster Kriegsherr aufzuspielen, der glaubt, kompetent Einzelheiten der Kriegsführung erörtern zu können.
Die rot-grüne Koalition wird in dieser Woche nicht zerbrechen?
Ein Ausstieg aus dem Krieg bedeutet einen Ausstieg aus der Regierung – das wissen die Grünen. Sie werden die Linie ihres Außenministers Joschka Fischer mit einem „Ja, aber“ kritisch unterstützen. Diese Entscheidung fällt nicht aus machtpragmatischen Gründen, und sie ist schon gar keine plötzliche, opportunistische Wende. Sie ist das Ergebnis eines fast zehnjährigen außenpolitischen Lernprozesses.
Die „Zeit“ beschreibt die Aufgabe des Sonderparteitages sehr lakonisch: „Gesucht wird ein Antrag, der keinen verprellt, ein Beschluß, der die grünen Gandhis befriedet, ohne die grünen Kissingers bei der Arbeit zu stören.“ Das ist alles?
Ein bißchen mehr ist es schon. Die Grünen müssen einen Grundsatzbeschluß treffen, der militärische Interventionen im Falle eines Völkermordes billigt, und zwar Interventionen auch dann, wenn die völkerrechtliche Grundlage nicht eindeutig ist. Dieser Beschluß beinhaltet eine nachträgliche Entscheidung darüber, ob der Einsatz der Nato gegen Jugoslawien legitim ist oder nicht. Dann wird die Partei Kritik üben am Verlauf und an der Zweckmäßigkeit der Nato-Bombardements; die Allianz hat bisher ja nur das Gegenteil ihrer selbstgesteckten Ziele erreicht. Und das dritte, was der Parteitag tun kann, ist, ein Zeichen zu setzen: mit der Forderung nach einer befristeten, einseitigen Feuerpause der Nato.
Und was passiert, wenn die Nato in vier Wochen den Einsatz von Bodentruppen beschließt? Ist dann die grüne Herrlichkeit vorbei?
Dann werden die Grünen feststellen, daß sie in Bielefeld nicht alles gesagt haben, was zum Krieg im Kosovo zu sagen ist. Die hermetische Abriegelung der Partei gegenüber einem Einsatz von Bodentruppen im Kosovo entspricht zwar einem breiten Konsens in der Bevölkerung und in allen anderen Parteien. Aber das Thema wird auf die Grünen schneller zukommen, als ihnen lieb ist; auf alle anderen Parteien natürlich auch. Wenn die Nato-Strategie der gezielten Luftschläge scheitert, der Westen aber gleichzeitig an seinem Kriegsziel festhält, die Rückkehr der Flüchtlinge zu ermöglichen, dann bleibt zwingend nur die Option, Teile des Kosovo mit Bodentruppen freizukämpfen. Auf diese Herausforderung sind die Grünen nicht vorbereitet.
Müßten die Grünen nicht noch weiter gehen und auf dem Sonderparteitag ihr außenpolitisches Selbstverständnis diskutieren?
Ein eintägiger Parteitag kann nicht alles leisten.
Aber wann, wenn nicht jetzt, soll diese Debatte geführt werden? Die Partei führt einen Krieg und verstößt damit gegen ihr eigenes Programm.
Es kommt vor, daß die Wirklichkeit stärker ist als Parteiprogramme. Jetzt ist der real stattfindende Krieg der Lehrmeister der Grünen, und zwar ein brutaler. Heute rächt sich, daß die Grünen ihr Grundsatzprogramm nicht vorangetrieben haben. Das war ein Fehler.
WelcheBedeutung hat der Pazifismus für die Grünen noch? Ist er mehr als ein Reklameartikel?
Der politische Pazifismus ist nach wie vor eine der Säulen grüner Identität. Aber er ist neu zu definieren. Die Partei muß sich lösen von dem engen Verständnis des Pazifismus aus der Friedensbewegung der 80er Jahre, der im Kern ein Nuklearpazifismus gegen die Hochrüstung der Atommächte war. Sie muß die pazifistischen Grundsätze anwenden auf eine Situation, in der regionale Kriege wieder möglich geworden sind, weil mit ihnen nicht mehr die Gefahr eines Atomkrieges verbunden ist, in der rassistische Kriege geführt werden, Kriege gegen die eigene Bevölkerung. Die Partei muß klären, ob sie Pazifismus als ein rigides Prinzip des Neins zum Krieg verstehen will oder als eine regulative Idee, mit der es vereinbar ist, in einer Ausnahmesituation an einem Krieg mitzuwirken, wenn ein Konflikt anders nicht zu lösen ist.
Zu welcher Entscheidung würden Sie den Grünen raten?
Das rigorose Prinzip, den Griff zur Waffe unter allen denkbaren Umständen zu verurteilen, reicht nicht mehr aus zur Bewältigung der internationalen Probleme am Ende dieses Jahrunderts.
Was wären die Grünen in der jetzigen Situation ohne Joschka Fischer? Hätte die Partei jemand anderen, hinter dem sie sich so gut verstecken könnte?
Die Partei muß auf dem Parteitag über ihren Außenminister ein Stück hinausgehen. Das tut sie zaghaft, aber doch symbolisch mit der Forderung nach der einseitigen Feuerpause.
Aber ohne Fischer wäre sie verloren. Auf wen sonst sollte die Partei ihre Friedenshoffnungen projizieren?
Hätte Fischer einen anderen Posten, würden die Grünen jetzt ihren alten Oppositionsopportunismus pflegen. Joschka Fischer als Außenminister erhöht den Ernstcharakter der Politik bei den Grünen, nicht nur in dem Sinne, daß auf dem Parteitag der Verlust der Regierung auf dem Spiel steht; das würde er auch ohne Fischer. Ein grüner Außenminister verschärft die Aufforderung, sich dem Grundsatzkonflikt zwischen „Nie wieder Krieg!“ und „Nie wieder Völkermord!“ zu stellen. Die Grünen sind zwischen beiden Prinzipien hin- und hergerissen, trotzdem müssen sie fähig sein, sich zu entscheiden. Joschka Fischer ist dafür der Maßstab. Er hat den Grünen den leichten Ausweg aus der schwierigen Situation verbaut.
Ganz simpel gefragt: Wie werden die Grünen nach dem Ende des Kosovo-Krieges dastehen – besser oder schlechter als vorher?
Ich kann die Ergebnisse des Krieges nicht vorhersagen. Ich habe eher das unangenehme Gefühl, daß es zu faulen Kompromissen kommen wird und z.B. auf eine Teilung des Kosovo hinausläuft. Wenn der Krieg beendet wird, ohne daß eine Rückkehr der Flüchtlinge in das Kosovo garantiert ist, wäre das der Beweis dafür, daß Diktatoren wie Miloevic weder durch Verhandlungen noch militärisch zu stoppen sind. Ein solches Scheitern der westlichen Politik wäre von viel größerer Dimension als die Frage, ob die Grünen bei den nächsten Wahlen ein paar Stimmen verlieren.
Interview: Jens König
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