: Alle Erbsen gezählt
■ Klangkrieg im Maria: Gitarrenzupfer treffen Knöpfchendreher und Tastendrücker
Hier kommt zusammen, was zusammengehört.
Drei Gitarren-Neutöner, allesamt Stellvertreter der längt klassisch gewordenen Kategorie New-York-Avantgarde, treffen auf Repräsentanten des Elektronik-Postrock-Labels Swim. Angesichts der Fülle von Namen und Verweisen, die bei der Nennung aller hier beteiligten Künstler auftauchen, wird klar, daß der Sinn einer Zusammenführung von Freeform-Gitarristen mit hippen Dance-Acts der ist, aufzuzeigen, welche aufregenden Entgrenzungen und Hybridformen derzeit an allen Ecken und Enden zum Zwecke neuer musikalischer Audrucksformen entstehen.
An den Gitarren: Alan Licht, Charles Curtis, Dean Roberts. Erstgenannter läßt sich mit Namen wie dem No-Wave-Vertreter Rudolph Grey genauso in Verbindung bringen wie mit netten Independent-Bands vom Schlage Run On oder Love Child, für die er schon geklampft und Songs geschrieben hat. Außerdem findet er Eddie Van Halen toll und hat er schon einen Haufen schräger, nirgendwo so richtig reinpassender Soloplatten aufgenommen.
Curtis hat bereits dem berühmten Vertreter der minimalistischen Tonkunstschule La Monte Young mehr als bloß die Hand geschüttelt, er weiß sicher nicht nur, wie man Instrumente stimmt. Und Dean Roberts ist der vielleicht direkteste Link hin zur Elektronik. Fragmentiert er doch seine Akkorde zu kleinen Basteleinheiten, aus denen weitflächige Soundscapes entstehen, in denen sich Tonschlaufen und wirre Klangstrukturen auf ein Schäferstündchen treffen. Die von Swim haben die schönen Namen Silo und Lobe. Eine dänische Elektronik-Popband, auch so was gibt es, und ein Typ, der mit seinen Maschinen in einem jederzeit höflichen Umgangston kommuniziert und schöne Niedlichen-Elektronik produziert. Swim selbst ist das Label von keinem anderen als Colin Newman, dem Menschen, dem ewiger Ruhm als Mitstreiter der legendären Proto-New-Wave-Band Wire sicher ist. Wie? Und der macht jetzt auf elektronische Musik und hat sogar ein Label dafür? Tja, damals Avantgarde, heute wieder. Aha, schon wieder dieses Wörtchen – Avantgarde.
Wer ist denn nun aber wirklich mehr vorneweg, die Gitarrenzupfer aus dem Big Apple oder die Tastendrücker auf dem Label eines Ex-Punkrockers? Doch gerade solche Erbsenzählereien sollen heute abend keine Rolle spielen, die will man auf immer und ewig der Vergangenheit anheimgeben. Fortschritt durch Durcheinander, auf daß sich aus diesem Unerhörtes und Neues herausschält. Dafür werden außerdem all die DJs sorgen, die sich auch noch in das ganze Gewirrknäuel musikalischer Annäherungsversuche mischen werden.
Bißchen viel das alles, vielleicht. Ist eben eine lupenreine Klangkrieg-Produktion, diese ganze große und bunte Veranstaltung, und deren Ziel war es schon immer, mit möglichst viel Aufwand möglichst viel Verwirrung zu stiften. Andreas Hartmann
New York Avantgarde-Guitarists und Swim-Label: Heute ab 22 Uhr im Maria am Ostbahnhof, Straße der Pariser Kommune 8–11
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