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Temelin geht ans Netz

Das tschechische Kabinett hält am umstrittenen Atommeiler fest. Sicherheitsbedenken nicht ausgeräumt  ■   Von Thorsten Denkler

Berlin (taz) – Trotz erheblicher ökonomischer und sicherheitstechnischer Bedenken soll das umstrittene tschechische Kernkraftwerk Temelin weitergebaut werden. In der Nacht zum Donnerstag entschied sich das sozialdemokratische Kabinett nach vierstündigen Beratungen mit 11 zu 19 Stimmen für die Fortsetzung der Arbeiten an dem Atommeiler, gab Ministerpräsident Milo Zeman gestern bekannt.

Der Bau von Temelin hat 1986 begonnen. Eigentlich sollte das Kraftwerk schon 1995 ans Netz gehen. Doch die Arbeiten an den beiden 1000-Megawatt-Reaktoren sowjetischer Bauart verzögerten sich immer wieder. Die veraltete Technik sollte durch moderne US-amerikanische Komponenten ergänzt werden. Weltweit aber gibt es bislang nur wenig Erfahrung damit, wie die antiquierte russische Atomtechnik auf westliche Technologien reagiert. Die Kosten sind explodiert: Inzwischen werden sie auf umgerechnet fünf Milliarden Mark geschätzt.

Kritiker sehen wegen des Technikmixes in dem Projekt ein unkalkulierbares Sicherheitsrisiko und halten es für wirtschaftlich unrentabel. Die tschechische Regierung bindet einen Großteil ihrer Finanzmittel an den Bau von Temelin. Und das, obwohl es erhebliche Zweifel an der ökonomischen Notwendigkeit gibt. Eine Studie der Internationalen Energieagentur in Paris bestätigte, es gebe in Tschechien ausreichend Energiesparpotentiale, die ein neues Kraftwerk unnötig machten.

Grundlage für die Entscheidung der tschechischen Regierung waren zwei sich widersprechende Gutachten von Umweltminister Milo Kuzvart und Industrieminister Miroslav Gregr. Staatspräsident Václav Havel vermutet Mauscheleien zwischen der CEZ, dem Temelin-Bauherrn, und Regierungsmitgliedern. „Ich glaube nicht, daß wir gegen die kommunistische Regierung gekämpft haben, damit wir später eine Diktatur von Firmen wie CEZ haben“, sagte er noch am Mittwoch.

Allerdings hat Havel die Mehrheit der Bevölkerung nicht hinter sich. In am Mittwoch veröffentlichten Umfragen haben sich zwischen 60 und 73 Prozent der Tschechen für einen Weiterbau ausgesprochen. Nur zwischen 21 und 40 Prozent waren für einen Baustopp.

Ab 2001 soll Temelin nach den jetzigen Planungen erstmals Strom liefern. Es wäre das zweite tschechische AKW. Seit 1985 sind im südmährischen Dukovany vier Druckwasserreaktoren sowjetischer Bauart am Netz. Tschechien könnte dann zum Stromexporteur werden. Allerdings glauben Kritiker angesichts der immensen Baukosten nicht, daß der Temelin-Strom international konkurrenzfähig wäre.

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