: Schröder leistet Buße in Peking
Der eintägige Chinabesuch des deutschen Bundeskanzlers erneuert den Dialog des Westens mit der Volksrepublik nach dem Bombenangriff auf die Belgrader Botschaft, ohne im Streit um den Kosovo-Krieg etwas in Bewegung bringen zu können ■ Aus Peking Georg Blume
Vor schwarzlackierten Stellwänden im vornehmen Ballsaal des Pekinger Kempinski-Hotels leistet Gerhard Schröder seines stärkste Abbitte. Lautstark und aggressiv drängen die chinesischen Journalisten im Saal den Bundeskanzler zur Erklärung des Nato-Angriffs auf Chinas Botschaft in Belgrad, bei dem drei ihrer Kollegen getötet wurden. Da legt Schröder seine Hand aufs Herz, um zu zeigen, wie ehrlich er es meint, und bittet seine Gäste, ihre Zweifel, ob es sich denn wirklich um eine unbeabsichtigte Aktion der Nato handele, zurückzustellen. „Ich weiß, diese Bitte richtet sich an sehr viele Menschen. Aber ich kann doch nur die Informationen weitergeben, die ich habe“, sagt Schröder.
Nie zuvor in der von Kolonialismus und ideologischen Grabenkämpfen gekennzeichneten Geschichte der Beziehungen zwischen China und dem Westen ist ein westlicher Regierungschef so bescheiden und demutsvoll in Peking aufgetreten wie der Kanzler während seines eintägigen Arbeitsbesuchs am Mittwoch. Schröder geht es um den „Anstand in der Weltpolitik“, als er mit einer „Entschuldigung ohne Wenn und Aber“ sein Stelldichein bei den kommunistischen Parteiführern gibt. Kein Small talk entweicht zur Begrüßung seinen Lippen, kein Lächeln versüßt die Botschaft. Schröder ist angekommen bei einer Nation, deren „moralische Empörung“ man nach seinen Worten nicht unterschätzen darf.
So endet der „Gang nach Canossa“, als der sich die Reise unter dem Eindruck landesweiter Massenproteste zunächst präsentierte, mit einem versöhnlichen Gipfelgespräch. Partei- und Staatschef Jiang Zemin selbst wechselt den Tonfall, als er am Abend im Staatsgästehaus Diaoyutai die Delegation mit Handschlag und ein paar deutschen Floskeln begrüßt. Spätestens da ist klar, daß der GAU nicht eintritt. Die KP-Führung will keinen Bruch mit dem Westen. Und ein unprätentiöser Schröder macht es den Gastgebern leicht.
Es hätte anders kommen können. Am Morgen trifft die Kanzlermaschine nur zwei Stunden vor dem Sonderflugzeug in Peking ein, das die Opfer des Nato-Angriffs aus der Belgrader Botschaft nach Hause bringt. Der Flughafen ist mit Trauerblumen geschmückt, und fast wäre die internationale Presse mit dabei gewesen, als weinende Angehörige die drei Urnen die Gangway heruntertragen. Doch in der Nacht zuvor entschied die Pekinger Führung, dem emotionalen Trauerwirbel, der seit Tagen die Öffentlichkeit beherrscht, ein rasches Ende zu setzen. Man will nicht länger Tränen aus Peking um die Welt senden. Weitere Demonstrationen gegen die Nato wurden verboten. „China muß zurück zum normalen Leben finden“, sagt Jiang. Also darf die internationale Presse nicht vom Flughafen berichten. Gestern fehlt das bewegendste Bild vom Vortag in den Zeitungen: Premierminister Zhu Rongji, den die Chinesen bisher als knallharten Managertypen ohne Gefühlsäußerungen kannten, bricht beim Kondolenzbesuch am Mittwoch in Tränen aus.
Wenige Stunden später empfängt Zhu einen deutschen Kanzler, der harscheste Kritik erwarten muß. Doch Zhu eilt entgegen des Protokolls die Stufen der Großen Halle des Volkes herab, um Schröder in Empfang zu nehmen, und hebt seine Rede damit an, den Gast zum ursprünglich geplanten viertägigen Staatsbesuch neu einzuladen. Jubel herrscht deshalb später unter den deutschen Diplomaten. „Die deutsch-chinesischen Beziehungen haben sich als krisenfest erwiesen“, sagt Schröder. Das mag wohl so sein.
Ein Grund dafür ist, daß der Kanzler mehr als Deutscher denn als Nato-Führer gesehen wird. Es muß hilflos wirken, wenn er immer wieder eine „restlose Aufklärung“ der Belgrader „Fehlleistung“ verlangt, ohne mehr zur Botschaftsbombardierung sagen zu können. Vor allem demonstriert es unfreiwillig die amerikanische Übermacht in der Nato, an die China glaubt. Gegen die USA richtet sich ihr Ärger, nicht gegen Deutschland. An Amerika stellen sie ihre vier Forderungen: eine Entschuldigung, eine Erklärung der Vorfälle, eine Entschädigung und die Bestrafung der Verantwortlichen. Die Forderungen wurden aber bislang bis auf Clintons Entschuldigung zurückgewiesen. Schröder aber legt sich in der Sache fest. Er will „die Verantwortlichkeiten für den Botschaftsanschlag deutlich werden lassen“ und beschwert sich intern, daß er etwas mitverantworten müsse, dessen Hergang er nicht wisse.
„Ich fahre hoffnungsvoller nach Hause, als ich gekommen bin“, resümiert Schröder. Doch wenn er damit die Lage im Kosovo meint, könnte er sich täuschen. Zwar mag er den Chinesen geholfen haben, nach dem Schock von Belgrad ihre diplomatische Sprache wiederzufinden, doch ihre Grundhaltung gegen den Nato-Krieg hat er nicht bewegt: Kategorisch fordern Jiang und Zhu ein Ende der Bomben und machen es zur Bedingung für Verhandlungen im Weltsicherheitsrat.
Um einer chinesischen Blockade entgegenzuwirken, fordert Schröder nun weitere „politische Aktivitäten“ des Westens. Ins Gespräch kommen dabei auch die festgefahrenen Verhandlungen über Chinas Beitritt zur Welthandelsorganisation (WTO). Zhu hatte während einer Amerikareise im April weitgehende Zugeständnisse gemacht, die Washington erst im letzten Moment als ungenügend zurückwies. „Ich bin nicht sicher, ob das chinesische Entgegenkommen immer richtig beurteilt worden ist“, sagt Schröder. Er hütet sich, seinen Gegenübern an diesem Tag Käuflichkeit zu unterstellen. Aber er scheint zu spüren, daß hier der Schlüssel zur Abwehr der Krise liegt. Die auf einen prowestlichen Kurs festgelegten Jiang und Zhu benötigen dringend einen Erfolgsnachweis für ihre Politik. Der WTO-Beitritt muß ihnen auf Dauer wichtiger sein, als die Lüftung des Geheimnisses um die Bomben auf die Botschaft, was Schröder zwar verspricht, aber wohl nie einlösen kann.
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