Integrationsfaktor Schlager

Im deutschen Schlager hat Multikultur eine lange Tradition. Amerikaner, Italiener, Jugoslawen, Schwedinnen und Spanier gehören zum gewohnten Bild. Morgenländer bisher noch nicht. Mit der Gruppe „Sürpriz“ ist ein Anfang gemacht. Ein Überblick  ■ von Daniel Bax und Jan Feddersen

Der Schlager gilt gemeinhin als deutscheste aller musikalischen Disziplinen. Zu Unrecht. Denn keine andere Stilrichtung in Deutschland weist seit jeher einen ähnlich hohen Ausländeranteil auf. Die Liedermacher, die Neue Deutsche Welle oder der Deutschrock – läßt man die Handvoll Österreicher beiseite, die dabei auch mitmachten, dann waren das die Domänen des Deutschtums, ohne nennenswerte Fremdbeteiligung aus Drittstaaten. Selbst im deutschen HipHop ist – zumindest in dessen erfolgreichen Varianten – der Integrationsquotient bislang eher niedrig. Im deutschen Schlager dagegen hat Multikulti Tradition.

Freilich weniger als Abbild multikultureller Verhältnisse, vielmehr als Spiegel der Bedürfnisse und Projektionen eines Publikums, das Fremden gegenüber stets sehr aufgeschlossen war. Jedenfalls, solange sie nur sangen. Die ausgesprochene Fremdenliebe, die einem aus dem deutschen Nachkriegsschlager bis heute entgegentönt, hat ihren Grund natürlich im Dritten Reich. Die ausländische Konkurrenz, die ans Ohr der Deutschen dringen konnte, ließ plötzlich die einheimischen Interpreten altbacken wirken. Der deutsche Schlager öffnete die Tür für einen geläuterten Weltzugang – nicht mehr Eroberung, sondern Hingabe –, in dessen Verlauf ein konturiertes Bild des „Westens“ klare Formen annehmen konnte.

Die Ausländer brachten internationales Flair ins Schlagerwesen; bei ihnen reimte sich Erotik auf Exotik. Das blieb nicht ohne Folgen für die heimischen Gewächse: Schwäbische Musiker legten sich Künstlernamen wie Tony, Roy oder Mary zu, sangen von „griechischem Wein“ und mexikanischen Fiestas, behaupteten, nur der Bossa Nova sei schuld, oder forderten: „Tanze Samba mit mir“.

Auch musikalisch zeigte sich der Schlager weltoffener als andere Musikstile. Schlager integrierte Banjo und Bouzouki, lange bevor ein Weltmusiktrend daraus wurde. Exotik war Trumpf: Frisch assimilierte Schlagerbarden wie Peter Maffay (Rumänien) oder Howard Carpendale (Südafrika) kultivierten ihren ausländischen Akzent zum Markenzeichen. Selbst ein leicht undeutscher Look (Caterina Valente, Rex Gildo) war keiner Karriere hinderlich – im Gegenteil.

Die Amerikaner standen in der Schlagergunst nach dem Krieg natürlich an erster Stelle. Ein klarer Fall von Identifikation mit den Besatzern, die, neben Kaugummis und Cola, auch ihre Musik in die kulturell sieche Bundesrepublik brachten. Amis wie Paul Anka (“Diana“), Gus Backus (“Da sprach der alte Häuptling“), Connie Francis (“Die Liebe ist ein seltsames Spiel“) und Bill Ramsey (“Souvenirs“) nahmen durch ihre Lockerheit ein. (Ein Musiker wie Billy Mo, 1956 der erste Schwarze im hiesigen Showgeschäft, landete den größten Hit: „Ich kauf' mir lieber einen Tirolerhut“ – zackiger hätte das Lied kein Deutscher singen können.) Mit Humor – ein gutes Versöhnungsmittel – spielten sie allesamt auf die Eigenheiten des deutsch-angloamerikanischen Verhältnisses an, lachend ließen sich desse Ambivalenzen leichter ertragen.

Die Amerikafaszination, die in den fünfziger und sechziger Jahren im deutschen Schlager Raum griff, beförderte die emotionale Westbindung, sie bereitete den Boden für die bis heute nibelungenhafte Bündnistreue zu den USA. Der Rock'n'Roll wurde ins Deutsche übersetzt und domestiziert, mit Peter Kraus und Ted Herold taten sich zwei Halbstarke für den, sagen wir: Gelsenkirchener oder Kieler Hausgebrauch auf.

Skandinavische Entwicklungshilfe: niedlich-seltsame Vornamen

Ohne die Südländer freilich ist der deutsche Schlager schwerlich vorstellbar, schließlich gehört die liedgewordene Italiensehnsucht zu den Konstanten des Genres. Erste Urlaubserfahrungen im Land der Vespas und Caprifischer taten ihr übriges, um diese Verbindung aufzufrischen. Vor allem Frauen erlagen dem Charme italienischer Papagallos vom Schlage Rocco Granatas wie Nino de Angelos, die mit glutäugigen Beschwörungen die heimlichen Romeoträume entwöhnter Hausfrauen beflügelten, während Mina (“Heißer Sand“) oder Rita Pavone (“Arrividerci Hans“) entsprechende Männerfantasien anregten.

Auch ein Grieche wie Costa Cordalis versprach eine Portion mediterrane Wärme und reuloses Vergnügen, während seine Landsfrau Vicky Leandros und vor allem Nana Mouskouri melancholische Neigungen bedienten. Letztlich gehört in diese Reihe auch Roberto Blanco, dessen Erfolg auf der Beschwörung simpler Ferienfreuden gründet (“Ein bißchen Spaß muß sein“). Popstars wie Adriano Celentano (“Azurro“), Julio Iglesias (“Wenn ein Schiff“) und Melina Mercouri (“Ein Schiff wird kommen“) trugen ebenso zur Internationalisierung des deutschen Schlagers bei. Sie gaben allein durch ihre Präsenz das Gefühl der Rückkehr in die europäische Gemeinschaft, und damit einer Absolution der vergangenheitsbelasteten Deutschen.

Beliebter Importartikel waren souveräne Frauenfiguren – mit Marlene Dietrich war ja die letzte deutsche Lady vergrault worden. Dalida, Milva und Daliah Lavi füllten diese Lücke. Wobei letztere wie auch Esther Ofarim Jahre zuvor qua israelischer Herkunft Sonderrollen einnahmen. Wiedergutmachungspop für zivilisierte Wirtschaftswunderkinder: „Willst Du mit mir gehen?“

Bei den Skandinaviern im deutschen Schlager handelte es sich fast ausschließlich um Frauen – Blondinen, die so niedlich-seltsame Namen wie Vivi, Siw, Lil, Wencke, Gitte oder Dorthe trugen. Deren Popularität beim deutschen Publikum war nicht zufällig in den sechziger Jahren am größten, galt Skandinavien uns damals als Inbegriff der Freizügigkeit.

Mit den Osteuropäern Ivo Robic, Bata Illic und Karel Gott tauchten die ersten Gastarbeiter im Schlagerland auf. Sie vermittelten den Bundesbürgern eine Ahnung von einem Mitteleuropa hinter dem Eisernen Vorhang, das zwar noch in den Erinnerungen mancher Vertriebenen präsent sein mochte, das eine jüngere Generation aber nur noch aus der Ferne kannte.

Türken und andere Morgenländer kamen in diesem Schlagerkosmos bisher nicht vor – hier endeten die Grenzen dieser heilen Welt. Der Grand-Prix-Einsatz der Gruppe „Sürpriz“ bedeutet nichts als nachholende Entwicklung. Wie nachhaltig sie ausfällt, muß offen bleiben.

Daniel Bax, 28, Musikredakteur der taz, mochte in seiner Jugend Vader Abraham und die Schlümpfe, heute schwört er auf Tarkan; Jan Feddersen, 41, Redakteur im taz.mag, hatte ein Herz für Daliah Lavi und Vivi Bach