: Kein Angst vorm grünen Mann
Serena Williams, perlenbezopfte Attraktion der German Open, befindet sich trotz ihres gestrigen Ausscheidens auf dem Weg in die absolute Weltspitze ■ Aus Berlin Matti Lieske
„Ich bin ein bißchen daneben“, sagte Serena Williams nach ihrem gewonnenen Achtelfinalmatch gegen Lisa Raymond bei den German Open in Berlin, sah bei dieser Erklärung aber ebensowenig daneben aus wie zuvor die meiste Zeit auf dem Platz.
Erst als sie gestern mitten im zweiten Satz, nachdem sie schon den ersten mit 3:6 verloren hatte, wegen einer Zerrung im Bereich des Ellenbogens das Spiel gegen Arantxa Sanchez-Vicario aufgab, als zuvor schon ihre wie mit der Baseballkeule geführten Brachialschläge wegen der Verletzung zu oft im Aus gelandet waren, nahm ihr Gesicht kurzzeitig den beleidigt-trotzigen Ausdruck an, der sich eigentlich gehört für eine 17jährige, die ihren Willen gerade nicht bekommt.
„Wenn ich Tennis spiele, will ich jeden Punkt“, hatte sie zuvor als Quelle ihrer Motivation verraten, „niemand anders soll den Punkt bekommen, das ärgert mich.“ Eine Einstellung, die sie zum Beispiel von Jennifer Capriati unterscheidet, wie Williams ein ehemaliges Tennis-Wunderkind, das in seinen ersten Profijahren dazu ausersehen schien, die Weltspitze zu beherrschen. Dann fiel Capriati jedoch in ein tiefes Motivationsloch, setzte lange Zeit aus und hat, seit sie wieder regelmäßig bei der Profitour mitspielt, wenig von ihrem Schlagrepertoire, aber fast alles von ihrem Biß und Siegeswillen eingebüßt. In ihrem Berliner Erstrundenmatch gegen Serena Williams hielt sie einen Satz lang mit, verlor den zweiten dann aber klaglos glatt und schied, ohne sich sonderlich zu grämen, aus dem Turnier aus.
Nicht zuletzt das Beispiel Capriati, deren ehrgeizige Eltern sie schon mit 13 in den Tenniszirkus warfen, war es, das Oracena und Richard Williams zur Vorsicht anhielt. Während die Russin Anna Kournikowa unentwegt über die neue Regel jammerte, die Spielerinnen unter 16 nur eine begrenzte Zahl von Profiturnieren gestattet, sollten Serena und ihre ein Jahr ältere Schwester Venus den Schritt zu den großen Turnieren erst wagen, wenn sie eine bestimmte Reife erreicht hatten. Die Entwicklung scheint den Williams-Eltern recht zu geben. Während Kournikowa und in gewisser Weise auch die frühvollendete Martina Hingis auf der Stelle treten, verbessern sich Venus und Serena mit rasender Geschwindigkeit. Beide sind hochgewachsen, verfügen über einen gewaltigen Aufschlag und plazieren die Bälle mit Vor- wie Rückhand scharf und genau.
Die Defizite liegen naturgemäß im Mangel an Erfahrung. „Keine Taktik, hohles Tennis“, urteilt der ewige Miesepeter des deutschen Tennissports, die ehemalige Spitzenspielerin Sylvia Hanika über die beiden Amerikanerinnen, doch genau in diesem Bereich lernen sie rapide dazu. Serena zum Beispiel nutzte ihre ersten Auftritte in Berlin als Lektionen im Sandplatztennis. Zwar liebe sie diesen Belag, habe aber lange Zeit nicht auf Sand gespielt, woher besagtes Danebensein rühre. „Ich muß viel mehr Geduld haben“, zog sie die Lehren aus ihrem 6:1, 7:6-Sieg gegen Raymond, die sie im zweiten Satz vom Platz fegen wollte, nachdem es im ersten schon hervorragend lief. Prompt kamen ihre Bälle nicht mehr, sie geriet in Schwierigkeiten und sagte danach: „Ich muß einfach einsehen, daß ich nicht mit jedem Schlag punkten kann.“
Derzeit steht sie noch auf Rang elf der Weltrangliste, doch es ist nur eine Frage der Zeit, bis sie ihrer Schwester Venus (Rang 5) in die Top ten folgt. „Ihnen gehört die Zukunft“, sagt Steffi Graf über die Schwestern, denen beharrlich die Legende von den Ghetto-Kids aus Los Angeles anhängt, die zwar nur ein Körnchen Wahrheit enthält, aber von Vater Richard dennoch gern gepflegt wird. Aufgrund ihres offensiven Auftretens und Outfits sind die Sisters mit der beperlten Haartracht längst Lieblinge der Medien, ob ihres frechen Mundwerks und distanzierten Benehmens zählen sie aber nicht unbedingt zu gerngesehenen Kolleginnen. Obwohl Serena gelassener als Venus wirkt und auf deren Macho-Gestik meist verzichtet, war die Sympathie der auf der Tribüne sitzenden US-Akteurinnen um Mary-Joe Fernandez beim Spiel gegen ihre Landsfrau Lisa Raymond jedenfalls klar auf der Seite der Verliererin.
Aber auch Fernandez ist überzeugt, daß die Schwestern „die nächsten Jahre dominieren“ werden, „wenn sie ihr Niveau weiter verbessern können“. Daran besteht kein Zweifel. Venus Williams siegte zuletzt in Rom, Hamburg und Key Biscayne, die Schwester in Indian Wells und Paris. „Solange auf der anderen Platzhälfte kein drei Meter großes grünes Wesen steht, lasse ich mich nicht einschüchtern, auch nicht von einer Steffi Graf“, hat Serena einmal gesagt. Seit sie in diesem Jahr nicht nur Graf, sondern auch andere Spitzenkräfte wie Hingis, Pierce oder Davenport bezwungen hat, müßte der grüne Bursche wohl schon fünf Meter groß sein, um sie zu erschrecken.
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